Himmel und Hölle
sehr angesagt. Die ganz Harten lassen das Kind stundenlang auf dem Bauch rumsuchen, bis es die Brustwarze gefunden hat. So was lernen sie in den alternativen Geburtsvorbereitungskursen. Die Türkinnen hingegen wollen, dass man das Kind wäscht, und Schluss. Für diesen ganzen Brustwarzen-Firlefanz haben die kein Verständnis.
Wie aber sollten wir nun mit dieser Frau umgehen? Natürlich durften Verena und ich keine Panik zeigen.
Ich fragte die frischgebackene Mutter, ob ich ihr Kind erst mal versorgen dürfe.
Es ist der schönste Moment im Leben einer Mutter, wenn das Kind endlich draußen ist, und sie hat das Recht, sich zu entspannen und zu freuen. Ich wollte der Frau das Geburtserlebnis nicht kaputt machen.
Noch nicht.
Es war ein Mädchen. Möglichst unauffällig verständigte ich den Oberarzt, und er schaute sich das Kind lange und sorgfältig an.
Dann kam der Moment, vor dem ich mich am liebsten gedrückt hätte. Ich legte der Frau das Baby in den Arm. »So ganz in Ordnung ist es nicht. Nachdem wir Ihr Kind untersucht haben, kann ich Ihnen sagen, dass wir keinen schweren Herzfehler festgestellt haben. Auch die Lungen sind frei«, begann ich möglichst unbeschwert. »Aber für mich sieht es so aus, als ob etwas mit Händen und Füßen nicht in Ordnung wäre.«
Die Frau war noch gar nicht wieder richtig bei sich. Sie küsste ihr kleines Mädchen und weinte vor Glück und Erschöpfung.
»Ist bei Ihnen in der Familie so was schon mal vorgekommen?«
Die Frau verneinte erstaunt. Der Mann fing an zu weinen.
»Haben Sie in der Schwangerschaft Alkohol getrunken?«
»Nur dann und wann ein Gläschen! Sekt ist doch für Schwangere kein Alkohol!«
Allerdings waren diese Merkmale hier möglicherweise Alkoholschäden. Ich konnte nicht weiter auf die arme Frau einreden. Wenn sie selbst schuld am Schicksal ihrer Tochter war, würde sie keine frohe Minute mehr haben.
Zum Glück kam dann endlich der Kinderarzt, den ich als Erstes verständigt hatte, und untersuchte das Unglücksbaby.
Ich bin nicht eine von denen, die in einem solchen Moment auf die Eltern einreden. Ich setze mich erst mal hin und sage gar nichts. Ich bin da, wenn sie mich brauchen, aber wenn sie weinen wollen, lasse ich sie weinen. Bei einer Mutter zerplatzt ja dann ein Traum: Ihr kleines Mädchen wird immer orthopädische Schuhe brauchen. Aber deswegen kann es trotzdem eine kleine Prinzessin sein!
In manchen Fällen hat man als Ärztin Glück, und die Patientin lässt einen wenigstens ihre Hand halten. Vielleicht fängt sie sogar von selbst an zu reden. Ich kann doch nicht einfach ins Blaue drauflosreden, ohne zu wissen, was die Frau wirklich bedrückt. Wenn sie regelmäßig Alkohol getrunken hatte in der Schwangerschaft, konnte sie einem nur leidtun.
Ich versuchte also, ihr zu sagen, was medizinisch möglich ist. Ihr bohrende Fragen zu stellen, wäre mehr als taktlos gewesen, denn die springt dir ja sonst aus dem Fenster! Man muss den Leuten Zeit geben, mit der Situation umzugehen. Das Ganze zu begreifen. Ich nenne ihnen dann später Spezialisten, kläre sie über die Kosten auf und ermuntere sie, sich einer Selbsthilfegruppe anzuschließen. Denn nichts ist trostloser, als in so einer Situation plötzlich allein dazustehen. Verwandte und Freunde sind betroffen. Aber das hilft den jungen Eltern nicht weiter, im Gegenteil. Es gibt ihnen Halt und Kraft, wenn sie sich an jemanden wenden können, der versteht, was in ihnen vorgeht. Der ihnen Tipps geben kann. Der ihnen von seiner eigenen Erfahrung berichten kann.
Einmal hat ein Ehemann seine Frau fantastisch aufgefangen. Sie hatte ein Kind mit Down-Syndrom zur Welt gebracht und war am Boden zerstört.
Da nahm der Mann sie in die Arme und sagte: »Paula! Ein Kind mit Down-Syndrom ist doch kein Weltuntergang! Wir werden es lieben, du und ich! Und es wird UNS lieben!«
Die Frau weinte und weinte. »Ach, hätte ich doch eine Fruchtwasseranalyse gemacht!« Sie war schon Ende dreißig und hatte sich dieses Kind sehnsüchtig gewünscht.
Der Mann sagte: »Paula! Du hättest es doch niemals abgetrieben! Du hättest es bloß vorher gewusst, das ist alles!«
Dieser Vater hat mir wirklich sehr imponiert, denn es sind oft auch Männer, die mit so einer Situation nicht umgehen können. Sie haben sofort Versagensgefühle. Diese Reaktion war ganz selten und toll für einen Mann. Respekt!
Väter im Kreißsaal, das ist überhaupt so ein Thema.
Die Männer wollen meist mit dabei sein, aber entweder sie
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