Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Himmel und Hölle

Titel: Himmel und Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
Vom Netzwerk:
lockere Routineangelegenheit würde, für sie wie für mich. Sie wusste schon, wie Gebären geht, und ich auch.
    So plauderten wir beide entspannt miteinander und vertrieben uns die Zeit, indem wir uns gegenseitig von unseren ersten beiden Geburten erzählten. Dann ging es ziemlich rasch los, die Presswehen setzten ein. Noch immer war ich sehr entspannt, als plötzlich die Schultern des Kindes mitten in den Presswehen stecken blieben.
    Mist, dachte ich, Schildkrötenphänomen. Der Kopf kommt und zieht sich wieder zurück. Das ist nicht gut. Rein oder raus. Und rein geht nicht mehr.
    Jetzt plauderte ich schon nicht mehr ganz so entspannt, und auch die arme Gebärende schrie vor Schmerzen. Man muss sich das nur einmal vorstellen: Die Schultern dürfen nicht hinter dem Schambein stecken bleiben; sie sind die breiteste Stelle des ganzen kleinen Menschleins, und normalerweise flutschen die so schnell raus, dass die Gebärende den reißenden Schmerz gar nicht mitbekommt. Oder die Hebamme dreht sie heraus. Aber wenn sich da minutenlang nichts tut, fühlt sich die Frau wie lebendig zerrissen. Das Baby
hingegen bekommt Sauerstoffnot und droht zu ersticken. Der Mann ging lieber wieder nach draußen, eine rauchen. Die Hebamme Verena schlotterte vor Angst.
    Ich probierte sämtliche Manöver aus dem Lehrbuch. Ich versuchte, das Kind zu drehen, schlug der Frau vor, die Beine schnell anzuziehen und wieder zu strecken, aber nichts tat sich. Die Frau brüllte wie am Spieß, und die kindlichen Herztöne rutschten ab.
    Verdammt noch mal!, dachte ich. Irgendwann sagst du der Frau, das Kind ist tot. Aber noch nicht jetzt!, riss ich mich am Riemen.
    »Verena, wir schaffen das! Lass den Typen nicht wieder rein, der stört jetzt!«
    Ich schaltete einen Notruf in die Zentrale und plärrte: »Ich hab hier eine Schulterdystokie, der Oberarzt muss sofort kommen!«
    Es erschien kein Oberarzt, und Verena und ich waren auf uns selbst gestellt. Der Mann draußen auf dem Gang hatte fertig geraucht und fing an zu heulen. Na toll! Solche Männer braucht das Land. Dabei hätten wir jede helfende Hand benötigt, denn das hier war körperliche Schwerstarbeit!
    In meiner Verzweiflung hatte ich ganz vergessen, die Gegensprechanlage wieder auszustellen. Richard, der Typ in der Zentrale, musste alles mit anhören.
    »Eh scheiße, schalt das Ding wieder aus!«, schrie er in den Lautsprecher, aber die Patientin brüllte noch viel lauter. Sie brüllte sich die Angst aus dem Leib, und der Mann heulte noch ein paar Phon lauter, während Verena und ich uns Befehle zuriefen.

    Sogar aus dem zweiten Stock kamen die Krankenschwestern herunter, um zu sehen, was sich hier abspielte.
    »Mach die Gegensprechanlage wieder aus, ich hab hier noch andere Notfälle!«, krächzte Richard aus der Notrufzentrale. Leider wusste ich nicht, wie man das Ding wieder ausschaltet. Außerdem gab es Wichtigeres, das Leben von Mutter und Kind stand auf dem Spiel. Da musste sich der Richard eben hochbequemen und die Anlage selbst ausschalten.
    Das tat er auch, die Hand vor den Augen.
    Denn was wir mit der armen Frau anstellten, war nichts für ihn, obwohl er ein hartgesottener Bursche war: Wir rissen ihr im wahrsten Sinne des Wortes den Arsch auf! Ihr Mann draußen auf dem Flur war inzwischen vom Heulen zum Beten übergegangen. Klar, dass Richard das nicht mit anhören wollte.
    Endlich hielten wir das schlappe Bündel in den Händen. Mist, Mist, es ist tot, war das Erste, was ich dachte.
    Aber es hatte noch nicht mal einen Schlüsselbeinbruch, obwohl wir so an ihm gezerrt hatten. Nach kurzer Zeit fing es wie selbstverständlich an zu schnaufen.
    Wir konnten es nicht glauben! Das war ein Wunder! Verena und ich, wir hatten es mit vereinten Kräften geschafft, während der Mann draußen Tränen vergoss. Auf dem Fußboden war ein Riesenfleck, und Verena und ich waren sicher, dass wir vor Angst in die Hose gemacht hatten.

    Aber es war das Fruchtwasser.
    Als das Kind dann anfing zu schreien, haben Verena und ich gleich mitgeheult.
     
    Bei einer anderen Entbindung kam ein Kind raus, das keine Füße hatte, sondern nur zwei Zehen, und keine Hände, sondern nur zwei Krallen.
    Verena und ich sahen uns an und wussten nicht, was wir der Mutter sagen sollten.
    Sie hatte gerade ihren letzten Presswehenschmerz hinter sich, der Schweiß lief ihr von der Stirn, und ihr Mann küsste und herzte sie.
    Normalerweise wird das Kind der Mutter gleich auf den Bauch gelegt. Wir nennen das »Bonding«, das ist

Weitere Kostenlose Bücher