Himmelreich
diesem verkorksten Streifzug durch Dublin nichts anfangen.«
»Und was«, will ich wissen, »passiert mit den nichtverkauften Exemplaren?«
»Raphael wird am Montag vorfahren und diesen Plunder abtransportieren - mit einem altertümlichen, knallroten VW-Bus, auf den er ganz stolz ist.«
»Und wer ist Raphael? Ihr Freund?« frage ich.
»Leider nicht«, sagt sie in einem seufzenden Ton, »dabei sieht er so furchtbar gut aus. Chef Logistik. Ab ins Lager mit diesen fünfzig Schachteln.«
»Und wenn sie sich in den Filialen nicht verkaufen?« frage ich, ich bin hartnäckig, wenn es um betriebswirtschaftliche Abläufe geht, es interessiert mich wirklich, wie so eine Logistikkette aufgebaut ist. Ich frage nicht einfach, weil mir dieses Mädchen gefällt, es hat eine gewisse Eleganz, es beglückt mich, um dieses sehr dumme Wort zu gebrauchen, einen gut aufgezogenen Betrieb zu sehen. Ich stehe vor den organisierten Abläufen einer Firma mit demselben Entzücken wie vor einer schönen Landschaft, ich betrachte eine Produktpalette mit dem gleichen Blick, mit dem ein Kunstliebhaber ein Gemälde betrachtet, und ich zerpflücke einen Strategieplan mit demselben empfindlichen Eifer wie der Literaturkritiker einen Roman.
Leider werden wir von einem Grüppchen Pensionierter unterbrochen, die aus der Ausstellung kommen und sich um den Tisch herum ansammeln und die Bücher betasten, als wären es Früchte in einem Supermarkt. Ich schlendere noch einmal durch die Haupthalle der Universität, noch einmal an den Anschlagbrettern vorbei. Ich weiß, sobald ich mein Ulysses-Exemplar aufschlage, wird Josephine erscheinen. Ich setze mich auf einen der Stühle, die wahllos herumstehen. Ich schlage das Buch auf, auf der ersten Seite.
Josephine ist da. In ihrem grauen Mantel, darin eingerollt ein schmaler, aufrechter Körper. Im Kragen ein Kopf, verloren wie der Stempel einer Tulpe, nicht das Zentrum dieser Frau, sondern ein Körperteil, so scheint es, für das dieser mächtige Stoff einfach nicht gereicht hat. Ihr vor Kälte blasses, unverdorbenes Gesicht. Schwarze, hohe Stiefel. Sie weiß um die Macht dieser simplen Ausstattung. Wir küssen uns nicht. Wir schlendern durch die Halle wie ein Paar - ein selbstverständliches, erregendes Nebeneinanderherschreiten.
»Ich muß schnell hallo sagen«, meint sie, als wir beim Büchertisch vorbeikommen, »geh du schon mal rein.«
In der Ausstellung, die in einem Seitengang des Universitätsgebäudes eingerichtet und deren Eingang durch einen einfachen Paravent markiert ist, stehen ein paar Schaukästen. An den Wänden hängen Vitrinen - alles in das schale Gelb der Gangbeleuchtung getaucht. Nur an einem Ort, im hinteren Teil der Ausstellung, unterbricht ein Fenster diese ermüdende Stimmung, ein Fenster, das auf die Stadt hinaus zeigt und das wie eine Sauerstoffquelle wirkt: Ausgeschüttetes Sonnenlicht liegt flüssig und zitternd auf dem Boden. Ich weiß nicht, warum ich mehr von einer Buch-Ausstellung erwartet habe, mehr Aufregung, Dreidimensionales, Handfestes, Farbiges, Sich-Bewegendes. Vor den Vitrinen eine Handvoll Studenten. Briefe des Verlegers an den Autor. Briefe des Autors an den Verleger. Das Gutachten des Lektors (ich teile es). Es gibt Interessanteres, als was sich Autoren und Verlage zu sagen haben. Der Umbau der Fahnen in allerletzter Minute. Ausschnitte aus den ersten Rezensionen (vernichtend). Viel ist es nicht, was diese Ausstellung zu bieten hat.
»Tut mir leid«, sagt Josephine, sie kommt lebhaften Schrittes auf mich zu und hängt sich in meinem Arm ein, »unser Büchertisch. Kaum was verkauft da draußen. Egal. Komm, ich zeig dir die Ausstellung.«
»Du«, sage ich und gehe bewußt etwas langsamer, »ich muß dir was sagen.«
Josephine schon vor der ersten Vitrine: »Hier, die ersten Kapitel als Satzfahnen in The Little Review, die dann zensiert wurden.«
Joyce, so erklärt sie mir, hätte mit seiner erotischen Verhunzung der Odyssee bewußt Anstoß erregen wollen - Kampf gegen den bürgerlichen Mief, Kampf gegen den Rationalismus, Kampf für den kreativen Geist.
»Und hier«, sie zerrt mich weiter zur nächsten Vitrine, »Joyce Definition der Technik des Stream of Consciousness, des Bewußtseinsstroms.«
Ich sage: »Übermorgen fliege ich.«
»Einfach aufschreiben, was einem in den Sinn kommt. Den Gedanken freien Lauf lassen. Hier die Definition.«
Josephine zitiert, was auf einem weißen Kärtchen gedruckt steht und was ich auch lesen kann.
Ich sage:
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