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Himmelreich

Himmelreich

Titel: Himmelreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Dobelli
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ist mein Ernst. Sie ist idiotisch, deine Dramatik, deine Abschiedsverweigerung.«
    »Ich weigere mich, ausgenützt zu werden.« »Was du sagst, ist lächerlich.«
    »Genau, das finde ich auch. Dein Verständnis von unserer Beziehung, pardon, unserer Affäre« - dabei spricht sie das Wort »Affäre« aus, als wäre es die absurdeste, ja falscheste Bezeichnung, die je einem Faktum zuteil geworden ist - »ist lächerlich. Lächerlich, daß ich darauf reingefallen bin. Sechs Monate lang schon raubst du mich aus. Du bist ein Dieb, ein Dieb der Gefühle.«
    »Habe ich dir nicht von Anfang an klargemacht, daß ich verheiratet bin?«
    »O doch! Verheiratet wie Industrieleim. Unzertrennlich!«
    »Bitte sehr. Das war klar, von Anfang an. Ich bin kein Casanova. Ich bin nicht einer, der jedes Abenteuer mitnimmt, das ihm über den Weg läuft.«
    » - «
    »Übermorgen fliege ich.«
    »Das sagst du wohl gern.«
    Ich zeichne mit meiner Schuhspitze Kreise auf dem Boden.
    »Du wirst also tatsächlich fliegen?«
    »Ich muß. Befehl von oben.«
    Sie steht jetzt wieder ganz nahe und kerzengerade vor mir, einen Fuß auf die Spitze gestellt, was ihren Körper in einer spöttischen Art aufrichtet, und sagt: »Weißt du, was? Dann muß ich dich eben entführen.«
    »Du spinnst wohl.«
    »Entführen, noch bevor du fliegst. Im letzten Moment steigst du einfach nicht ein. Alles wird aussehen, als wärst du auf dem Flug nach New York, aber wir fahren weg, irgendwohin, zusammen. - Entweder Entführung, oder es ist Schluß.«
    Entführung - ich muß lachen. Nicht weil der Gedanke so abwegig, so vollkommen absurd ist - das ist er tatsächlich -, sondern weil ich es mir einen Augenblick lang sogar vorstellen kann, eine Entführung am Flughafen Zürich, auf welche Art auch immer, vor den Augen der laufenden Überwachungskameras, und dann nichts wie weg aus dieser Stadt, auf und davon, fahren bei heruntergekurbelten Scheiben, dem Frühling entgegen, dem Licht entgegen, nur Josephine und ich.
    »Du willst also, daß wir uns nie mehr sehen, auch nicht morgen zum Abschied?« frage ich. »Nie mehr.«
    »Ich sag ja, du bist dramatisch.«
    »Und du ein Unmensch.«
    »Ein Unmensch, den du liebst.«
    »Das ändert nichts an der Sache.«
    »Auch keine E-Mails mehr? Keine Anrufe?« »Keine.«
    Von weit her sind Schritte zu hören, Schritte von Besuchern, die soeben den Ausstellungssaal betreten haben und sich flüsternd vor den ersten Vitrinen aufpflanzen. Jetzt sind wir nicht mehr allein, aber noch ist die Intimität unseres Abschieds unangefochten.
    »Ich bin die Asche einer Glut, die ich nicht war.« »Sicher wieder eine deiner Buchweisheiten.«
    »Walser.«
    »Den du haßt.«
    »Nicht immer.«
    »Ich werde dich vermissen.« Ich meine es wirklich. »Ich werde unsere Leseabende vermissen.«
    »Wie oft mußt du es denn noch sagen. Du quälst mich mit deiner Abreise, mit deinem blöden New York.«
    »Und morgen, wann sehen wir uns?«
    »Ich kann unmöglich noch einmal mit dir schlafen«, sagt sie und dreht sich von mir weg, als sei sie gezwungen, den Abschied vorwegzunehmen, ihn mir aus den Händen zu stehlen, und sei es auch nur, um die Macht über die Abläufe wieder an sich zu reißen. Ich schließe meine Hände und Arme um sie, mein Kinn auf ihrer Schulter und küsse sie auf den Nacken.
    »Also Lunch?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Halb eins.«
    Anderntags der Abschied. Es ist Sonntag, meine Anweisungen an die Umzugsleute. Was bleibt in Zürich? Der Schreibtisch, mein Stuhl, der Konferenztisch, die Stühle darum herum, der Stuhl, auf dem Josephine sitzt und wartet - Mantel auf den Beinen -, das Büchergestell (die Bücher kommen mit, die Ordner ebenfalls), die Aussicht. Was auch mitkommt: die Schreibtischlampe, obwohl es in New York auch Schreibtischlampen gibt, modernere, funktionalere, aber keine, die mich durch das Studium begleitet hat. Manchmal werde ich sentimental, mag sein. Die Umzugsleute in ihren blauen Overalls. Ich gebe Anweisungen wie ein Bauführer. Blick auf Josephine, die jetzt nicht mehr sitzt, sondern steht, weil sie so den Arbeitern weniger im Weg ist. Auch den Mantel hat sie jetzt wieder an.
    Vielleicht weil es so weniger aufdringlich ist. Ihr Gesicht ist nicht traurig, aber man sieht, daß sie nachdenkt. Sie ist zum ersten Mal in meinem Büro, und ich führe sie durch die Gänge, zeige ihr das eine und andere, die Kunst an den Wänden - ein Übermaß an Max Bill - oder die elektronische Sicherheitszentrale, wo jemand sitzt und mit dem

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