Himmelreich
das Flugzeug markieren, in Deckung zu bringen. Das ist wie bei einem Computerspiel«, klärt mich mein allwissender Sitznachbar auf.
Mein Versuch, mich durch das Ausdrücken allerlei Wünsche für die Zukunft endgültig von ihm zu verabschieden.
»I am Stephen«, sagt er - ich weiß nicht, warum plötzlich auf englisch - und streckt seine junge Hand vor mein Gesicht, »it was a pleasure.«
»Freut mich - Himmelreich.« Ich bin nicht dafür zu haben, auf amerikanische Lockerheit zu machen, nur weil man acht Stunden seines Lebens in derselben Röhre verbracht hat. Kein Anlaß für die Aufgabe von Anstand, kein Anlaß für übertriebene Kameradschaft, auch nicht dreißig Minuten vor Amerika.
»Hier, falls Sie einmal Lust auf einen Rundflug haben, meine Visitenkarte.«
Daß ich keine Visitenkarte bei mir trage, mit der ich mich hätte revanchieren können, beweist mir die Unwichtigkeit dieser Begegnung. Meine Kärtchen werden, wenn alles klappt, druckfrisch in Manhattan auf dem Schreibtisch liegen - Manhattan Finance Corporation, Chief Executive Officer. Und so wende ich mich dem Arrival-Film zu, der über unseren Köpfen läuft. Er zeigt Bilder der Skyline, blitzende Wolkenkratzer aus der Ferne, Tanz der Glastürme, dann einzeln: das Empire State Building, das Woolworth Building, die beiden Türme am Columbus Circle. Wolkenkratzerspitzen rund um den Times Square. Der Central Park wie eine moosige Grube. Dann abstrakte Diagramme des Flughafens: Arrival Gate, wo die Immigrationsbehörde ist und der Zoll und wo es Taxis und Busse nach Manhattan gibt, dazu Hinweise, was alles verboten ist: rauchen, telefonieren (in der Immigration Hall), Taxis auf dem Abflugdeck herwinken und so weiter. Strengstens verboten: die Einfuhr von unverpackten Eßwaren -Früchte, Gemüse, Kekse, selbst Schokolade. Wären die Amerikaner Menschenfresser, wären sogar die Passagiere verboten.
Wir durchsegeln einen Bruch des Riffs. Links und rechts das Andonnern der Wellen, das Zerschellen auf dem Riff, das Tosen und Zischen und Spritzen, die haushohen Fontänen, die einen Regenbogen in den Himmel zeichnen und gleich wieder vergehen. Das Meer hinter dem Riff wie ein See, diese müde Stille. Jetzt mit bloßem Auge zu sehen: die Palmen, der Sand, das Wasser grünlich mit einem Stich ins Gelb. Alles reglos. Alles wie Tapete. Wir ziehen die Segel ein. Ich lasse den Anker sausen. Das Klirren der Ankerkette, wie sie über die Bugwinde rollt. Nach fünf, sechs Metern ist der sandige Boden erreicht. Ich lasse noch einige Bootslängen Spielraum, dann mache ich sie fest. Das Boot hält. Wir springen beide kopfüber in das Kristallwasser. Augenblicke später stehen wir auf Sand - Josephine im tropfenden Frühlingsrock, ich in meinen Unterhosen. Dieses seltsame Schaukeln des Bodens.
Die Insel ist nicht größer als ein durchschnittliches Kreuzfahrtschiff. Wir schlendern den Strand entlang, barfuß, heben ab und zu eine Muschel auf, die besonders schön glänzt, manchmal auch ein abgebrochenes Korallenstück. Wir flanieren. Schon nach zwanzig Minuten finden wir uns wieder am Ausgangspunkt. Was wir zu sehen bekommen: Palmen. Viel Gebüsch. Dornensträucher. Trockenes Gewucher. Überall Blätter wie Leder. Aus dem Sand ragendes Korallengestein. Manchmal eine Kokosnuß mit verschrumpelter Rinde. Kein Mensch weit und breit. Nicht einmal ein Hund oder ein Wildschwein. Nur Insekten.
Time to Destination: 0 Hours 15 Minutes.
Das Bremsen und Schütteln beim Ausfahren der Landeklappen. Ein Gewucher aus Städten, Wäldern, Autobahnen, alles wie Flechten, dahinter der Long Island Sound. Linkskurve auf das Meer hinaus. Die rechte Flügelspitze weit oben im blauschwarzen Himmel. Die zusätzliche Schwerkraft in der Kurve. Long Island jetzt als Zunge. Das Licht über dem Atlantik, das Blinken und Blitzen, dort, wo die Wellen mit der Sonne spielen. Ein Frachter wie hinter Rauchglas. Ruß, der über dem Frachter stehenbleibt, weil Wind und Frachter demselben Vektor folgen. Die endlose Küste Long Islands. Piers, die wie Zündhölzer in den Atlantik hineinstechen. Die Sitze, die sich vor einem auftürmen - je tiefer man rutscht, desto mächtiger das Rücklehnengebirge. Ich denke - ja was denke ich? Die Stewardess bittet mich höflich, endlich auch meine Sitzlehne senkrecht zu stellen, und als ich es nicht augenblicklich ausführe, sondern noch immer zum Fenster hinausstarre, drückt sie selbst auf den Knopf und kippt meinen Sitz in die richtige Position. Ich komme mir wie
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