Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Himmelreich

Himmelreich

Titel: Himmelreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Dobelli
Vom Netzwerk:
Stimmen.
    Inseln als hingeworfene Ketten in der Farbe von Muscheln, davor manchmal ein Riff, Korallen, Seegras wie Moos. Haie, vom Flugzeug aus zu sehen als dunkelgraue Pinselstriche. Sonst sprachen wir wenig, ich zeigte mit der Hand nach links oder nach rechts, und er steuerte nach links oder nach rechts. Wir flogen tief über die Inseln, Baumwipfelhöhe, wie gesagt, ab und zu einige Hütten, Fischerboote, die unter uns vorbeizogen. Nur in einem Luftschiff wäre es noch beschaulicher gewesen. Dazwischen Erinnerungen an seine Abenteuergeschichte mit der DC-3 - die Goldbarren im Sand, die im Wasser treibenden Melonen vor Miami Beach.
    »Da«, rief ich, »die Spur! - Alles zerstört.«
    Wir flogen den Streifen entlang, der im Auge des Hurrikans gelegen haben mußte: Baumgruppen, die aus abgeknickten Stämmen bestanden. Wälder wie zerbrochene Mikados. Einmal flogen wir über eine größere Anlage, vermutlich ein Hotelkomplex, im Pool trieben ein Dachgiebel, zwei, drei Liegestühle, ein Pingpongtisch. Wir sausten darüber hinweg. Dann wieder nichts als Meer. Ab und zu eine Insel, auf der es nichts zu zerstören gab: Strand wie eh und je, Büschel von Gras auf den Dünen, keine Spur von Zivilisation. Wir flogen und flogen. Unter uns der Schatten der Cessna, der Rumpf, die beiden Flügel, wie ein schneller Fischschwarm knapp unter der Wasseroberfläche, einmal eine abgedeckte Fischerhütte, Backsteinruinen, ein halber Segelrumpf im Gebüsch, ein anderer Teil des Rumpfs lag im Sand wie eine zerbrochene Eierschale - dann wieder das Wasserfarbengemisch des Meers. Ich wußte auch nicht, was ich suchte, ich suchte Josephine, aber woher zum Teufel nahm ich die Gewißheit, sie auf einer dieser tausend Inseln zu finden? Es war idiotisch. Warum gerade Bahamas? Vielleicht war sie in Zürich verschollen oder auf einer Wanderung in den Alpen, auf einer Reise nach Dublin, wohin sie immer schon wollte. Aber warum gerade Bahamas? Wir flogen südwärts, immer weiter die Exumas entlang. Dabei konnte sie nach eigener Auskunft nicht einmal segeln; lesen konnte sie und denken und träumen, sie konnte stark sein mit ihren Armen, erregend, ihr ganzer Körper eine Sensation, man konnte sich in ihre Seele hineinfallen lassen, und sie konnte einen herausfischen mit ihrem Lachen, das so unmittelbar kam, so ungezügelt, als wäre es nicht ihr Lachen, sondern stellvertretend für das der Götter - aber segeln? Das einschläfernde Brummen unseres Motors. Ich dachte an die vielen tausend Explosionen, die sich in jeder Minute in diesen Zylindern ereigneten, an die Ventile, die sich im selben dämonischen Takt öffneten und schlossen, an den Vergaser, an die Kurbelwelle, die Propeller, die sich mit jeder Rotation ein Stück Himmel abschnitten und nach hinten schleuderten. Ich war froh um diese Gedanken. Eigentlich aber schaute ich nur unserem Schatten zu, der starr und aufgespannt wie ein sezierter Vogel über das blitzende Meer zog.
    »Wir müssen umdrehen«, meinte Stephen und klopfte mit dem Finger auf die Treibstoffanzeige.
    Ich ließ mir nichts anmerken. Wir flogen geradeaus weiter, südwärts, vor uns die Exumas, die meisten unbewohnt, Landerbsen, eine nach der anderen wie eine Kette aufgereiht. Links und rechts nichts als das Meer.
    »Sehen Sie hier«, sagte er wieder. Diesmal rüttelte er an meiner Schulter. Der Benzinstandsanzeiger stand tatsächlich auf halb leer. Weiter südlich sei kein Benzin mehr zu erwarten; erst wieder in Turks and Caicos, was außerhalb unserer Reichweite liege.
    Wir drehten um.
    Ich weiß nicht, was Stephen von mir dachte. Ein zwölfstündiger Rundflug am Rand eines Kontinents?
    »Was genau suchen Sie?« hatte er mich mehrmals gefragt. Ich hatte mich mit Handzeichen als Antwort begnügt: etwas nach links, bitte, etwas nach rechts, und so weiter.
    Wir flogen jetzt gegen Norden; also zurück. »Was wollten Sie eigentlich finden?« - seine Frage in der Vergangenheitsform.
    Ich zuckte die Schultern. »Liebe«, sagte ich.
    Der Junge nahm es als Witz. »Nein, wirklich?« Er lachte.
    Die Sonne stand jetzt so, daß sie unseren Schatten direkt vor uns herwarf.
    »Liebe«, sagte ich noch einmal. Ich packte ihn am Ärmel, so daß wir beide erschraken. »Wissen Sie eigentlich, was das ist: Liebe?«
    Er war jetzt froh, ganz Pilot sein zu dürfen. Er schraubte an verschiedenen Instrumenten herum, nahm seinen Notizblock und notierte Koordinaten und Zeiten, er faltete die Navigationskarte auf, übrigens zum ersten Mal, er tat

Weitere Kostenlose Bücher