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Himmelreich

Himmelreich

Titel: Himmelreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Dobelli
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stattgefunden hat? Warum sich einbilden, was es niemals gegeben hat?
    Ich weigerte mich, zu denken, was unsinnig war.
    Er berichtete noch eine ganze Weile darüber, wie ich (der ich seit zweieinhalb Jahren hier in New York eine Bank führe) mit Josephine zusammen zuerst quer durch Frankreich, Spanien und Portugal gereist und schließlich über den Atlantik gesegelt sei (ich und segeln) und daß wir zusammen (jawohl, Josephine und ich) ein Kind gezeugt hätten (eine Tochter), Lily (warum um alles in der Welt ein so drolliger Name?), darüber hinaus betrieben wir eine Bäckerei, jawohl, auf den Bahamas, eine Bäckerei für Segler (ich und ein Handwerk, überhaupt, Bäckerei auf einer Insel, was für ein unmöglicher Einfall), wie glücklich sie gewesen sei, wie selig. Die Erfüllung ihrer Träume (offenbar auch meiner). Er redete und redete.
    Ich weiß nicht, warum ich plötzlich im Auto saß. Ich fand mich auf einer zehnspurigen Autobahn Richtung Upstate New York, also Norden, dann über die George Washington Bridge nach Westen, nach New Jersey, der Sturm war abgezogen, zerrissene Pakete von dunklen Wolken segelten ostwärts, die Sonne stand hoch und klar im Himmel, beidseits Bäume, Wälder voller Herbstglanz, ganze Hügel in diesem Farbengewitter - ich finde es seltsam, daß die Blätter erst dann mit ihren Farben prahlen, wenn sie tot sind. Erinnerungen an Heu, Erinnerungen an versengte Matten in den Alpen kurz vor dem ersten Schneefall, im Radio Jazz - vermutlich Diana Krall, so genau kenne ich die Jazz-Szene wirklich nicht. Ab und zu ein letzter kurzer Schauer, ein Spritzer, dann ein Stück Regenbogen tief im Osten, dann wieder die Sonne in Herkulesfarben. Es war seltsam und doch irgendwie vertraut, dieses ziellose Fahren, ich genoß das Rollen, das Fließen, das einschläfernde Brummen, das sanfte Rütteln hinter dem Steuer, ich fühlte mich, warum auch immer, als Teil eines Schwarms. Irgend etwas Rätselhaftes geschah hier. Ich richtete meiner Sekretärin aus, sämtliche Meetings der nächsten Tage auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Ich hätte mich kurzfristig entschieden, nach Cancun zu fliegen, um mit Freunden meine Beförderung zum Konzernchef zu feiern. Meine Gedanken waren weit weg. Ich nahm Abzweigung um Abzweigung, wechselte die Spuren, gedankenverloren und doch mit Bestimmtheit, automatisch, es war, als säße nicht ich hinter dem Steuer, sondern ein anderer, ein Nicht-Ich, ein Alter ego. Ich sah mich auf den Parkplatz des Flughafens Teterboro fahren.
    »Hätten Sie Lust, mich auf die Bahamas zu fliegen?«
    Ich packte, blind vor Aufregung, den erstbesten Menschen in Pilotenuniform, ich packte ihn von hinten, weil er gerade über den Motor einer kleinen Maschine (Cessna) gebeugt stand und den Ölstand kontrollierte, in der einen Hand hielt er den tropfenden Meßstab, in der anderen ein Lümpchen, mit dem er die Ölflecken auf dem Blech wegrieb. Er drehte sich um.
    »Sagen Sie mal, sind Sie nicht...«
    »Ja natürlich, Sie sind doch... «
    Es war Stephan, respektive Stephen oder Steve, der Mann mit dem Jugendgesicht, braun vor lauter Fliegerei, Pilot, Fluglehrer, mein Sitznachbar auf der Reise von Zürich nach New York.
    »Was führt Sie hierher?« Er rieb seine Finger am Lappen sauber.
    »Los, steigen wir ein.« Ich bedrängte ihn, mag sein, aber ohne Gewalt, trotzdem folgte er meinem Befehl wie einem Leutnant. »Reden wir später.«
     
    Wir flogen auf Baumwipfelhöhe. Nach dem Übernachten und Zwischentanken auf Nassau, das Meer: blau wie das Hintergrundleuchten eines Plasmabildschirms, Glanz wie Gefieder, eine Regenbogenhaut über das Meer gespannt, Glimmer in Grünblau und Türkis, darunter Sandbänke, nicht anders als in der Sahara, Wasser, durchsichtig wie Glas. Die Sonne drang bis auf den sandigen Grund, von wo aus sie das Meer innerlich erleuchtete. Selbst in der Nacht muß es hier noch leuchten, phosphoreszierend, dachte ich. Ich war froh um unseren Motor, sein monotones Brummen, einschläfernd, er drehte und drehte, der Propeller als stehende Kreisscheibe, wir flogen über ein Aquarell, das mit zuviel Wasser gemalt war, so daß die Farben ineinander verliefen.
    Stephen, der froh war, einmal einen richtigen Ausflug zu machen, statt seine langweiligen Volten um den Flugplatz zu drehen, steuerte unsere Cessna sicher, so hatte ich das Gefühl, nie übermütig, ab und zu klopfte er mit dem Finger auf die Anzeigen, offenbar um die Nadeln nicht einschlafen zu lassen. Auf dem Funk gab es kaum

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