Himmels-Taler
bieten.«
»Das ist zweifellos der Fall«, stimmte Mark ihr galant zu. »Wir bedauern das Mißverständnis.«
»Du bist also noch ein Kind«, sagte Vida. »Wir Vila haben sehr ausgeprägte Beschützerinstinkte, was Kinder angeht. Komm, du mußt jetzt essen; ein Junge, der noch wächst, muß etwas zu sich nehmen.«
»Äh…«
»Und du darfst wirklich nicht ohne Kleider herumlaufen; sonst holst du dir noch den Tod vor Kälte!« Sie vollführte eine Geste mit der Hand, und plötzlich trug Dolph einen Umhang aus grünem Laub.
»Etwas zu essen würde ihm wahrscheinlich guttun«, pflichtete Mark ihr bei.
»Ja.« Plötzlich erschien ein riesiger grüner Salat in ihren Händen. »Den ißt du jetzt ganz auf, und danach putzt du dir die Zähne«, wies sie Dolph an. »Und dann mußt du dich waschen, besonders hinter den Ohren.«
Dolph kam der Gedanke, daß er als Mann wahrscheinlich besser drangewesen wäre. Der Umgang mit ihr hätte weitaus mehr Spaß gemacht, als grünen Salat zu essen! Jetzt aber benahm sie sich genau wie seine Mutter.
Doch es schien, als säße er fest, denn obwohl Mark auch selbst nicht essen mußte, wußte er doch, daß Lebewesen das nötig hatten. Und wie so viele andere Erwachsene, glaubte auch Mark, daß so ein widerlicher Salat viel besser wäre als kandierte Maiskolben.
Doch ganz so schlimm wurde es auch wieder nicht. Nach dem Essen verwandelte Vida sich in ein prächtiges großes Pferd, damit Dolph stilvoll hoch zu Roß einherreiten konnte, und brachte ihn den Berg hinauf zu ihrem Baum. Der erwies sich als riesige alte Birke, umgeben von weißem Sand und mit dem Rauschen von Meereswogen im Geäst. Sie lud ihre beiden Gäste ein, die Nacht hier zu verbringen, und Mark war einverstanden. »Wer unter dem Schutz einer Vila steht, dem tut niemand etwas an«, bemerkte er.
Sie unterhielten sich ausgiebig, denn Vida war darauf erpicht, Dolph mit ihren Vorzügen als künftige Braut zu beeindrucken für jene Zeit, da er heiratsfähig werden würde. Er erfuhr, daß Vila die Wächter der Gebirgswälder waren, genau wie die Hamadryaden, nur noch sehr viel mächtiger. Sie konnten jede beliebige Gestalt annehmen und jene, die in ihre Wälder eindrangen, mit Krankheit schlagen. Deshalb hatten die Harpyien an ihrer Reviergrenze haltgemacht, weil sie sich vor der ortsansässigen Vila fürchteten. Doch hatte diese Macht auch ihren Preis: Die Vila blieben auf alle Zeit an ihre Bäume gebunden, und wenn ein Baum starb, starb auch seine Vila. Deshalb hatte Marks Drohung, ihren Baum zu fällen, sie völlig aus der Fassung gebracht; ein lebendes Wesen hätte sie zwar krank machen oder ihm sogar den Tod bringen können, noch bevor es ihren Baum erreicht hatte, doch Mark war in diesem Sinne nicht lebendig. Anders als die Hamadryade, die immer ganz dicht bei ihrem Baum bleiben mußte, konnte eine Vila sich weit von ihm entfernen. Allerdings mußte sie dann befürchten, daß sich jemand an ihren Baum heranschlich und ihm Schaden zufügte, und das durfte sie nicht riskieren. Daher hütete sie ihren kleinen hübschen Wald und ging nie auf Reisen. Es tat ihr leid, daß sie Dolph bedroht hatte, aber er hatte ja genau wie ein Oger ausgesehen, und Oger waren dafür berüchtigt, daß sie Bäume beschädigten. Hätte sie sofort gewußt, daß er ein Prinz war…
»Weißt du, es stimmt zwar, daß du noch sehr jung bist«, sagte sie, »aber wenn du vielleicht die Gestalt eines erwachsenen Mannes annähmest, könnten wir ein paar interessante Dinge miteinander veranstalten.«
»Ach ja? Was denn?« fragte Dolph fasziniert. Er hatte noch nie die Gestalt von etwas annehmen können, das älter war als er selbst, doch je mehr er wuchs, um so besser wurde auch sein Talent.
»Ich glaube nicht«, warf Mark hastig ein.
»Aber…« sagten Dolph und Vida im Chor.
»Sie denkt nicht etwa an Ringkämpfe«, erklärte das Skelett. »Sie denkt eher an klebrige Dinge.«
»Bäh!« rief Dolph angewidert.
»Na ja, vielleicht könnten wir doch einen Ringkampf…« warf Vida ein.
Doch Dolph lehnte ab. Er traute ihr nicht über den Weg – möglicherweise würde sie dabei doch wieder einen Kuß anbringen wollen. Er war froh, daß Mark ihn gewarnt hatte. Erwachsenen durfte man einfach nicht trauen.
Vida seufzte. »Na schön, wenn du dich doch mal für klebrige Dinge zu interessieren beginnst, Prinz, wirst du schon wissen, wo du mich finden kannst. Es wird mir eine Freude sein, dir eine solche Vielfalt klebriger Dinge vorzuführen, wie du sie
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