Himmelsbrut / Victor (German Edition)
an. ,,Sie wird nicht sterben!" Immer noch herrschte in diesem Dorf der Glaube vor, man müsse für den Sterbenden bitten, in das nächste Reich überzutreten. Danach wurde der oder die Tote mit allem möglichen sinnlosen Zeug in der Erde verbuddelt, um die Götter gnädig zu stimmen. Sarazel wusste es besser.
Die Amme zuckte vor ihm zusammen. Doch sie wich nicht zurück, trotz seiner kriegerischen Ausstrahlung und seinem herrischen Tonfall.
,,Sehr wohl Herr" , sagte sie knapp mit gesenkten Lidern und nahm ihre Arbeit wieder auf als wäre nichts gewesen. ,,Vielleicht könntet ihr neues Wasser aus dem See holen, während ich die Laken wechsle und das Feuer schüre."
Sarazel löste sich nur widerwillig von seiner Frau, doch er wollte tun, was getan werden musste.
Als er die Tür schon erreicht hatte, stöhnte Aurelia erneut auf und wand ihren Körper vor Schmerz. Er wollte wieder zu ihr gehen, doch die Amme hielt ihn am Arm zurück. ,,Geht nur, Herr. Ich kümmere mich gut um sie. Sie wird eure Kraft noch brauchen."
Er nickte. Ein paar Minuten an der frischen Luft würden ihm jetzt guttun und seinen Kopf wieder klar machen.
Es waren nur ein paar Schritte bis zum Seeufer. Er ging in die Hocke, um den Eimer in das kühle Wasser zu tauchen.
Plötzlich stellten sich die kleinen Härchen in seinem Nacken auf. Er ließ den Eimer fallen, griff nach seinem Feuerschwert und drehte sich blitzartig um.
Ein gleißendes Licht umgab die Gestalt eines Mannes, mit weit ausgebreiteten, weißen Flügeln, der direkt vor ihm stand.
Sarazel zog sein Schwert wieder in das Heft und kniete mit gesenktem Kopf nieder. ,,Michael, Herr! Verzeih mir, dass ich mein Schwert gegen euch zog. Ich hatte nicht mal bemerkt, dass es sich nicht entflammte." Im selben Moment erinnerte er sich, dass die Erzengel auf der Erde waren, um seinesgleichen zu vernichten. Denn auch Sarazel war ein Gefallener und hatte sich von Gott abgewandt. Als Michael nichts entgegnete, senkte Sarazel wieder seinen Kopf.
,,Ich weiß Herr, warum ihr hier seid, doch ich möchte euch bei dem Rest meiner Seele darum bitten, mir einen Aufschub zu gewähren. Meine Frau liegt in den Wehen und ich weiß nicht, ob sie überleben wird. Lasst mich bitte von ihr Abschied nehmen und danach, macht mit mir was ihr wollt. Ich werde alles freiwillig annehmen. Was immer es ist."
Ein göttliches Lächeln umspielte Michaels Mund und er fasste Sarazel unter den Arm, um ihm aufzuhelfen. ,,Oh Sarazel, mein guter, alter Freund und Kampfgefährte. Du warst immer einer meiner besten und treuesten Soldaten.
Wir beobachten dich schon sehr lange und sind zu dem Schluss gekommen, dass dies hier dein Schicksal ist.
Also, steh auf und sprich zu mir Auge in Auge und sag mir, was dich bedrückt."
Sarazel stand auf und blickte dem Erzengel, der sein oberster Heerführer und immer sein Mentor gewesen war, in die Augen. ,,Meine Frau liegt im Sterben, obwohl ihr geweißsagt wurde, dass sie ein Kind von unseresgleichen empfangen könne. Ich liebe sie. Sie ist mein Leben. Niemals hätte ich geglaubt, dass wir zu so etwas fähig wären.
Doch es ist geschehen und ich würde jederzeit mein Leben für sie geben, wenn ihr mich lasst."
Als hätte Aurelia seine Worte gehört, kam ein furchtbarer Schrei aus der naheliegenden Hütte. Ohne nachzudenken, lief Sarazel auf die Hütte zu.
,,Warte!", rief Michael ihm hinterher, der inzwischen seine menschliche Gestalt angenommen hatte. Nun wirkte er wie ein großer stattlicher Edelmann, doch immer noch strahlte er viel Macht aus. Man sah es Michael an, dass er es gewohnt war, Befehle zu erteilen, die keine Wiederworte duldeten.
Abrupt blieb Sarazel stehen und drehte sich wieder zu seinem Befehlshaber um. ,,Ich muss gehen!", presste er zwischen seinen Lippen hervor.
Wieder musste Michael lächeln. ,,Ich weiß, doch ich bitte dich nur, mir einen Augenblick zuzuhören."
Sarazel war wie erstarrt. Michael bat ihn um etwas? Der Erzengel hatte noch nie um irgendetwas gebeten. Nein, normalerweise erteilte er Befehle, die man sofort auszuführen hatte.
Ernst sah er Sarazel in die Augen, bevor er weitersprach: ,,Für deine Frau ist gesorgt. Raphael ist bei ihr und wird die Amme anleiten und deiner Frau beistehen."
Sarazel´s Mund wurde staubtrocken. Konnte er Michael glauben? Passierte das hier alles wirklich oder spielten ihm seine völlig übermüdeten Gehirnwindungen einen üblen Streich?
,,Du kannst mir vertrauen", setzte der Seraphim wieder an. ,,Deine Frau wird leben.
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