Himmelsdiebe
Geschmac k – ein Prachtbau aus Gold und Spiegeln und Marmor! Nur die Gäste waren komisch. Im Foyer schlurften furchtbar viele alte Leute herum, manche sogar in Bademänteln und Pantoffeln. Sie passten eher in ein Altersheim als in ein Grandhotel.
»Mr. Paddington hat der Klinikleitung unser Kommen telefonisch angekündigt«, erklärte Geraldine der Empfangsdame.
»Was redest du da von meinem Vater?«, fragte Laura. »Ist der etwa auch hier? Und weshalb Klinikleitung? Sind wir in einem Krankenhaus?«
»Ja sicher, was dachten Sie denn?«, erwiderte die Empfangsdame. »Ah, da kommt Dr. Gonzáles ja schon!«
Laura blickte in die Richtung, in die die Empfangsdame zeigte. Aus einem Seitengang kam ein hagerer, weißhaariger Mann mit Hornbrille und Arztkittel auf sie zu. Doch trotz der Verkleidung erkannte Laura ihn sofort. Seine Augen hinter den dicken Brillengläsern verrieten ihn.
Der Mann war kein Arzt, der Mann war Alexander Lubbers: der Mann mit den Hundeauge n – der Herr im Haus der Angst.
13
Harry versuchte zu malen, doch das Glockengebimmel der Kühe, die auf der Wiese unter seinem Fenster weideten, raubte ihm den Verstand. Lulu hatte ihm Unterschlupf in einer Berghütte verschafft, ein paar Kilometer flussaufwärts der Ardèche. Seit einer Woche hauste er schon hier oben, abgeschieden von der Welt, auf die er aus solcher Höhe herabblickte, dass Sainte-Odile sich wie ein Spielzeugdorf im Tal verlor. Einmal am Tag kam Lulu zu ihm herauf, um ihn mit allem zu versorgen, was er zum Leben brauchte. Sogar Leinwand und Pinsel und Farben hatte sie ihm gebracht, damit er in seinem Versteck malen konnte.
»Warum hast du nicht auf mich gewartet? Hast du denn nicht gewusst, dass ich zurückkomme?«
Schwarz schimmerten Lauras Augen im Morgenlicht. Um die Einsamkeit zu bekämpfen, hatte Harry ein Bild angefangen. Splitternackt stand seine Geliebte da, eine Braut, die auf ihre Einkleidung wartete. Während ein reiherköpfiger Zeremonien-Dada ihr einen roten Straußenumhang um die Schultern legte, vergoss zu ihren Füßen ein gnomgesichtiger Zwergen-Dada bittere Tränen. War der Liebespfeil in der Hand des Reihers für immer zerbrochen? Jeden Tag, wenn Lulu ihn in seiner Hütte besuchte, hoffte Harry auf eine Nachricht von seiner Windsbraut, auf einen Anruf oder Brief, damit er wusste, dass sie noch am Leben war, dass sie ihn immer noch liebte, dass sie ihn genauso vermisste wie er sie. Doch jeden Tag schüttelte Lulu ihren grauen, zotteligen Kopf, und mit jedem Tag, den er ohne Nachricht blieb, vermehrten sich seine Sorgen wie auch seine Schuldgefühle. Lulu hatte ihm erzählt, wie sehr Laura gelitten hatte, nachdem er von den Soldaten verschleppt worden war. Genauso wie damals in Paris.
»Schau mich nicht so vorwurfsvoll an. Ich konnte nicht weg, sie haben mich festgehalten. Und bevor du wieder mit Paris anfängs t – du hast gewusst, dass ich kein Heiliger bin!«
Die Vorstellung, dass sie jetzt irgendwo in Spanien herumirrte, irgendwo zwischen den Fronten der Faschisten und der Republikaner, war noch schlimmer als draußen das Gebimmel der Kühe. Er musste fort von hier, er musste nach Spanien, nach Lissabon, wo Laura auf ihn wartete, sonst würde er verrück t … Aber wie sollte er das tun? Ohne Pass und ohne Geld war er in seiner Hütte gefangen. Während ihn ein unerträgliches Verlangen nach seiner Windsbraut überkam, übermalte er ihr Gesicht mit einer Maske aus roten Straußenfedern. Er hielt ihren Blick nicht länger aus, so wenig wie seine Liebe.
»Bist du deshalb abgehauen? Aus Rache für Paris?«
Ein kleiner, böser Gedanke kroch durch die Windungen seines Gehirns, um sich in seiner Seele einzunisten. Lulu hatte ihm erzählt, dass Laura seinen Pass mit nach Spanien genommen hatte. Vielleicht hatte sie das nur getan, damit er hier festsaß und sie nicht suchen konnte. Weil sie gar nicht wollte, dass er sie wiederfan d … Weil sie sich vor ihm aus dem Staub gemacht hatt e … Weil sie ihn nicht mehr liebt e … Je länger Harry darüber nachdachte, umso mehr fühlte er sich im Stich gelassen. Warum sonst hätte sie das Zauberhaus verkaufen sollen? Das war doch der Beweis, dass sie nichts mehr von ihm wissen wollte! Oder war alles nur so gekommen, weil jemand Dada seiner Macht beraubt hatte?
Harry wusste es nicht. Und es gab keine Möglichkeit, sich Gewissheit zu verschaffen.
»Kann ich reinkommen?«
Lulu stand in der Tür. In der Hand hielt sie einen Brief. »Post für dich.«
»Von Laura?«
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