Himmelsdiebe
großen Bucht. Da ist alles umgekehrt.«
»Erzähl keinen Mist! Das ist auch nicht das Mittelmeer. Am Mittelmeer gibt es nicht so hohe Wellen. Und erst recht keine so breiten Strände.«
»Und ob es die gibt! Bist du noch nie in Saint-Tropez gewesen?«
Laura drehte sich zu Geraldine herum. »Ich glaube, das war dieser Belgier.«
»Was für ein Belgier?«
»Alexander Lubbers. Der Mann mit den Hundeaugen. Der hat alles vertauscht.« Sie zögerte einen Moment, unsicher, ob sie Geraldine einweihen durfte. »Soll ich dir ein Geheimnis verraten?«, fragte sie schließlich. »Dieser Lubbers ist der Feind, der Herr im Haus der Angst. Er regiert die ganze Welt. Das weiß nur noch keiner.«
»Und woher weißt du das?«
»Er will, dass ich Harry umbringe. Weil Harry in Wahrheit mein Vater ist.«
Geraldine gab keine Antwort. Laura wusste, warum. Ihre Freundin war wie alle anderen. Sie wollte die Wahrheit nicht höre n … Laura holte den Pass aus ihrer Handtasche. Harry drängte schon seit einer ganzen Weile, dass sie ihn befreite. Harry wollte immer die Wahrheit wissen! Höchste Zeit, dass sie gehorchte! Mit einem strengen, vorwurfsvollen Blick schaute er sie an. Sie nahm den Pass und legte ihn zu der Puppe. Das würde ihn besänftigen. Die beiden gehörten zusammen, sie hatten sich lieb.
»Gleich sind wir da«, sagte Geraldine.
Laura schaute auf. Draußen sah es aus wie in einem amerikanischen Kinofil m – prachtvolle, stuckverzierte Häuser, eine mit Pappeln bestandene Strandpromenade voller Menschen, dahinter das schäumende Meer. Sogar ein Spielcasino erhob sich am Ende der Straße vor dem blauen Himmel.
»Das ist nicht Sainte-Odile«, sagte Laura.
»Wir waren ziemlich lange fort«, erwiderte Geraldine. »Inzwischen hat sich manches verändert.«
»Willst du dich über mich lustig machen? Ich erkenne gar nichts wieder.«
»Ich hab dir doch gesagt, dass sich vieles verändert hat.«
»Wo ist Lulus Bistro? Los! Zeig es mir!«
»Später. Erst müssen wir zu unserem Hotel. Sonst haben wir heute Nacht kein Bett.«
Geraldine betätigte den Blinker und bog von der Promenade ab. Über einen Kiesweg rollten sie auf ein Gebäude zu, das noch imposanter war als das Spielcasino und in einem riesigen Park mit weiß gestrichenen Pavillons lag. Vor der Freitreppe parkte Geraldine den Wagen und stellte den Motor ab.
Als sie aussteigen wollte, hielt Laura sie am Arm zurück.
»Sag mir endlich die Wahrheit. Wo sind wir?«
Geraldine erwiderte ihren Blick. »Nun gut«, sagte sie. »Du sollst die Wahrheit wissen. Wir sind nicht in Sainte-Odile. Wir sind in Spanie n – in San Sebastian.«
»Ich hab’s gewusst!«, rief Laura. »Du hast mich belogen! Die ganze Zeit! Warum?«
»Jetzt reg dich nicht auf. Ich hab’s ja nur gut gemeint. E s … Es sollte eine Überraschung werden.«
»Eine Überraschung?«, wiederholte Laura irritiert.
»Ja! Ich wollte dir eine Freude machen. Wei l … weil du doch heute Geburtstag hast.«
Laura runzelte verwundert die Brauen. »Ist heute denn der 3 . Mai?«
Geraldine strahlte. »Hast du das wirklich vergessen? Dann ist die Überraschung ja gelungen!« Sie beugte sich zu ihr und gab ihr einen Kuss. »Herzlichen Glückwunsch, mein Schatz.«
»Danke«, sagte Laura. »Jetzt bin ich wirklich erleichtert. Um ehrlich zu sein, ich hatte schon fast an meinem Verstand gezweifelt.«
»Das gehört zu einer Überraschung dazu. Aber jetzt komm. Oder bist du gar nicht neugierig?«
»Und ob ich neugierig bin!«
Laura stieg aus dem Wagen und folgte Geraldine zu dem Hotel. Während der Kies unter ihren Sohlen knirschte, kam ihr plötzlich eine Idee. Wenn Geraldine ihr wirklich eine Freude machen wollte, konnte es nur eine Überraschung geben. Sie hatte Harry in das Hotel bestellt! Harry liebte Überraschungen über alles, und bevor sie in den Pyrenäen losgefahren waren, hatte Geraldine noch mal telefonier t … Eilig lief Laura die Treppe hinauf. Sie konnte es gar nicht erwarten, dass Geraldine ihr Geheimnis lüftete.
»Womit kann ich Ihnen dienen?«, fragte die Dame an der Rezeption in fließendem Englisch.
»Bitte melden Sie uns Dr. Gonzáles«, antwortete Geraldine. »Wir werden erwartet. Geraldine Yarrow und Laura Paddington.«
Dr. Gonzále s – was für eine gerissene Tarnung! Während Laura so tat, als würde sie auf das Täuschungsmanöver hereinfallen, hielt sie Ausschau nach Harry. Der falsche Doktortitel war sicher seine Idee, eitel wie er war. Das Hotel jedenfalls war ganz nach seinem
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