Himmelsdiebe
sind sich bewusst, weshalb ich Sie sehen möchte?«
Sein spöttisches Lächeln bewies, wie überflüssig ihre Frage war.
»Wenn Sie dasselbe meinen wie ic h – es wäre Herrn Winter gewiss ein Vergnügen.«
Er hauchte einen Kuss auf ihre Finger, und schon war er zur Tür hinaus.
5
Warum hatte das Schicksal immer ein Janusgesicht?
Den ganzen Herbst hatte Harry vergeblich auf Debbie Jacobs gewartet, auch Weihnachten und Neujahr waren vergangen, ohne dass sie sich hatte blicken lasse n – und ausgerechnet heute, an dem einzigen Tag, an dem er sich unmöglich um sie kümmern konnte, kreuzte die Frau, die wie eine Göttin die Macht hatte, über sein Schicksal zu entscheiden, in der Villa auf. Zum Glück war es ihm gelungen, sie bei Laune zu halten. Wenn er Laura wiedersehen wollte, war er auf sie angewiese n – der Weg nach Lissabon führte über Debbie Jacobs. Verließ er sich hingegen auf die Phantastereien seines Sohnes, würde man ihm bis zum St. Nimmerleinstag die Ausreise verweigern. Der einzige Grund, warum Harry sich überhaupt darauf einließ, war Mathilde. Sie hatte ihm aus der Patsche geholfen, als er im Lager gewesen war. Jetzt durfte er sie nicht im Stich lassen.
Frierend in seinem viel zu dünnen Anzug, erreichte Harry das amerikanische Konsulat im Hafenviertel von Marseille. Mathilde war schon da und sprach mit Mr. Jennings, dem Vizekonsul, als er das Dienstzimmer betrat. An Mathildes Gesicht erkannte er allerdings sofort, dass er mit seiner Einschätzung zur Lage der Dinge recht gehabt hatte.
»Sie haben das Visum abgelehnt, nicht wahr?«, fragte er.
Mr. Jennings schüttelte den Kopf. »Nein, das Visum liegt vor. Aber es wurde unter Vorspiegelung falscher Tatsachen erschlichen.« Er blätterte in seinen Unterlagen und holte ein Dokument hervor. »Ich habe ein Telegramm aus den Staaten. Unsere Behörden haben Nachforschungen angestellt und herausgefunden, dass Sie längst geschieden sind.«
»Ich dachte, das deutsche Urteil hätte ohne Übersetzung keine Gültigkeit«, erwiderte Harry lahm.
»Ich habe mit dem Konsul über den Fall gesprochen. Tut mir sehr leid, aber er ist nicht bereit, wider besseres Wissen zu handeln.«
Mr. Jennings klappte seinen Aktendeckel zu.
»Keine Chance?«
»Keine Chance.«
»Abe r …«
»Spar dir die Mühe, Harry«, sagte Mathilde. »Mr. Jennings hat mir alles erklärt. Es ist zwecklos.«
Er sah ihre Enttäuschung und nahm ihre Hand. Die Tapferkeit in ihrem anständigen Gesicht war kaum auszuhalten.
»Und jetzt?«
»Mach dir um mich keine Sorgen. Carl und ich haben ja auch einen Antrag gestellt, und der sieht nach Auskunft von Mr. Jennings gar nicht so schlecht aus.« Obwohl es ihr sichtlich schwerfiel, rang sie sich ein Lächeln ab. »Lädst du mich zu einem Stück Kuchen ein?«, fragte sie. »Ich kenne hier ein nettes Café, nur zwei Straßen weiter, das von einem Kölner Konditor betrieben wird. Er backt eine wunderbare Schwarzwälderkirschtorte.«
»Aber sicher, wenn ich dir damit eine Freude machen kann.«
Harry reichte ihr seinen Arm, und mit jener Vertrautheit, die sie seit einer Ewigkeit miteinander verband und die kein Paragraf der Welt zerstören konnte, hakte sie sich bei ihm unter. Doch sie waren noch nicht an der Tür, da hielt Mr. Jennings sie zurück.
»Eine Möglichkeit sehe ich noch«, sagte er.
»Nämlich?«, fragten Harry und Mathilde wie aus einem Munde.
Er schaute sie beide fest an. »Sie müssen noch einmal heiraten. Hier, jetzt gleich!«
»Wie bitte?«
»Sind Sie verrückt geworden?«
Mr. Jennings verzog keine Miene. »Wenn Sie Ihre Ehe erneuern, indem Sie sich vor einem Beamten der Vereinigten Staaten von Amerika das Jawort geben, ist juristisch alles in Ordnung. Dann kann ich Ihnen das Visum ohne Weiteres aushändigen. Sogar mit Einverständnis des Konsuls.«
Harry schaute erst Mathilde an, dann Mr. Jennings. Offenbar war es dem Mann ernst. Trotzdem hielt sich Harrys Begeisterung in Grenzen. Was war mit Laura, wenn er mit Mathilde nach Amerika ausreisen würde? Sollte er seine Windsbraut allein in Europa zurücklassen? Ohne zu wissen, wo sie überhaupt steckte? Daran hatte bisher noch kein Mensch gedacht.
»Kommt gar nicht infrage«, erklärte Mathilde.
»Was kommt nicht infrage?«, erwiderte Mr. Jennings.
»Noch einmal zu heiraten. Das ist doch alles Unsinn! Mein Man n – ich meine, Mr. Winte r – hat sich vor Jahren von mir getrennt, weil er glaubte, mich nicht mehr zu lieben. Jetzt will ich nicht noch einmal seine
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