Himmelsdiebe
Jawort zu geben. Obwohl die Schuhe fürchterlich drückten, war sie froh, dass sie sie an diesem Morgen angezogen hatte. Sie wusste nicht, ob sie es sonst geschafft hätte, diesen Schritt zu tun.
»Bist du glücklich, meine Sternschnuppe?«, fragte Roberto.
Statt einer Antwort küsste sie ihn auf die Wange. Gott sei Dank, dass sie diesem Mann begegnet war! Ohne zu zögern, hatte er ihr seinen Schutz angeboten, nachdem sie aus dem Hotel geflohen war, und sie hatte noch keine Woche bei ihm gewohnt, da hatte er ihr die Ehe angeboten. Drei Tage und zwei Nächte hatte sie noch im Gästezimmer seiner Wohnung verbracht, dann hatte die Vernunft über ihre Zweifel gesiegt. Roberto war der Ausweg aus all ihren Nöten. Als seine Ehefrau war sie sicher vor den Heimsuchungen ihrer Eltern, die sie offenbar rund um den Globus von einer Irrenanstalt in die nächste schicken wollten, um sie so lange therapieren zu lassen, bis ihr Leben jeglichen Sinn verlor. Vor allem aber war sie an Robertos Seite sicher vor Harry. Ein Mann war das beste Mittel, um einen Mann zu vergessen. Dr. Retroverria würde stolz auf sie sein. Sie war erwachsen geworde n – sie war frei.
Der Standesbeamte, ein baumgroßer Mensch mit buschigem Schnauzbart, räusperte sich.
»Wollen Sie, Laura Paddington, den hier anwesenden Roberto Jiménez heiraten, ihn lieben und ehren in guten wie in schlechten Tagen und ihm die Treue halten, bis dass der Tod euch scheidet?«
Laura erwiderte seinen Blick, ohne ihn zu sehen. Sie hatte schon einmal einen solchen Schwur geleistet, in Lulus Kneipe, vor über zwei Jahre n … Wie glücklich war sie damals gewesen! Sie wollte sich eine Strähne aus der Stirn blasen, wie es ihre Gewohnheit war, aber aus irgendeinem Grund, den sie selbst nicht verstand, tat sie es nicht. Als fürchte sie ein Unheil, senkte sie den Kopf und schloss die Augen.
Plötzlich sah sie Harry vor sich, so deutlich, als stünde er leibhaftig vor ihr. Mein Gott, und wenn er vielleicht gerade auf dem Weg nach Lissabon war? Sie hatte ihm doch geschrieben, dass sie hier auf ihn warten wollt e …
Die Gefühle überkamen sie mit solcher Macht, als hätte ihr jemand Insulin in die Blutbahn gespritzt. Wie Wolken an einem sturmgepeitschten Horizont stürmten die Bilder auf sie ein. Dada, der Vogelobere, verschmolz mit seiner Windsbraut in einem Kuss. Aneinander gefesselt, waren sie eingeschlossen von lodernden Flammen. Während das Feuer an ihnen leckte, erhoben sie sich in die Lüfte, um gemeinsam der Höllenküche zu entkommen. Doch genau in dem Moment, in dem der Himmel sich vor ihnen öffnete, hoch oben in den Lüften, gingen sie beide in Flammen au f …
»Ist dir nicht gut, meine Sternschnuppe?«
Als Laura die Augen aufschlug, sah sie in Robertos besorgtes Gesicht. Mit einem Lächeln schüttelte sie den Kopf.
»Es ist alles gut, mir war nur für einen Moment etwas flau.«
Dann richtete sie den Blick fest auf den Standesbeamten und sagte: »Ja, ich will.«
Der Beamte nickte mit väterlicher Güte auf sie herab: »Somit erkläre ich euch zu Mann und Frau.«
4
»Ich möchte Harry Winter sprechen!«
»Wen darf ich melden?«
»Mein Name spielt keine Rolle. Sorgen Sie einfach dafür, dass er erscheint. Und zwar möglichst rasch.«
»Ich weiß gar nicht, ob er überhaupt da ist. Ich musste heute Morgen seinen Anzug aufbügeln. Ich glaube, er wollte in die Stadt.«
»Reden Sie nicht, schauen Sie nach!«
Damit beendete Debbie das Gespräch. Während die Frau, die ihr aufgemacht hatt e – allem Anschein nach die Köchi n –, grummelnd die Treppe hinauf verschwand, betrachtete sie die Bilder, die an den Wänden der kalten, düsteren Eingangshalle hingen. Kein Zweifel, sie stammten größtenteils von Harry Winte r – solche Zypressen konnte nur er malen! Zwischen den Baumbildern entdeckte Debbie außerdem ein paar Gemälde, in denen er offenbar seine Erlebnisse im Internierungslager verarbeitet hatte. Doch auf fast allen Bildern, ob im Wald oder im Lager, sah sie immer wieder das Gesicht einer Frau: einmal gehetzt und leidend wie auf der Flucht, dann zusammen mit einem Arz t … Debbie kannte das Gesicht, es gehörte dieser beneidenswert hübschen Engländerin, die in Paris mit Harry Winter zusammengelebt und der sie ein Pferdebild abgekauft hatte. Seltsam. Harry Winter war ein phantastischer Maler, also wohl kaum ein Mann von langweiligen Prinzipien. Trotzdem schien er immer noch an dieser kleinen Engländerin zu hängen. Konnte es sein, dass er sie
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