Himmelsdiebe
man ihre braunen Zahnstümpfe sah. »Das ist Maître Simon, Rechtsanwalt und Notar. Als er hörte, dass ihr euch für das Haus interessiert, hat er gleich die Erben in Avignon angerufen. Er ist berechtigt, in ihrem Namen einen Vertrag mit euch abzuschließen.«
»Solche Tüchtigkeit beeindruckt uns sehr. Aber geht das nicht ein bisschen schnell?«
»Ich wollte nur zu Diensten sein«, sagte der Notar. »Aber bitte, nehmen Sie sich für Ihre Entscheidung so viel Zeit, wie Sie brauchen.«
»Nein, nein, das Haus gefällt uns«, erwiderte Laura. »Wir sind uns doch einig, oder?«, fragte sie Harry.
»Wie viel soll es denn kosten?«, wollte der wissen.
»Zweitausendzweihundert Francs«, erklärte Maître Simon. »Einschließlich dem Weinberg und dem Olivenhain.«
»Das ist ja geschenkt!«, rief Laura.
»Das will ich meinen«, sagte Madame Lulu. »Ich hab mich auch mächtig für euch ins Zeug gelegt. Weil, ein so sympathisches Pärchen, das hätten wir gern in unserem Dorf.«
Maître Simon trommelte mit seinen manikürten Fingern auf dem Aktendeckel in seiner Hand. »Ich habe mir erlaubt, einen Vertrag aufzusetzen. Bevor die Erben es sich anders überlegen. Ich bräuchte nur ein paar persönliche Angaben. Wenn Sie mir bitte nach nebenan folgen?«
Der Notar ging mit Madame Lulu voraus. Harry hielt Laura am Arm zurück.
»Glaubst du wirklich, wir können uns das leisten?«, fragte er leise.
»Mach dir keine Sorgen«, flüsterte Laura. »Deine Windsbraut ist eine glänzende Partie.«
Sie gab ihm einen Kuss und trat in die Küche, wo Madame Lulu mit einem Lappen den Staub von den Stühlen wischte. Maître Simon wollte Harry den Vertrag geben, doch der reichte ihn an Laura weiter: »Mademoiselle Paddington ist die Käuferin.« Als Laura sah, wie peinlich ihm das Eingeständnis war, fügte sie rasch hinzu: »Monsieur Winter ist deutscher Staatsbürge r – darum.«
»Ah, ich verstehe. Die Politik.« Maître Simon quittierte die Auskunft mit einem süffisanten Lächeln. Dann zeigte er mit seinem kleinen beringten Finger auf die Leerstellen im Vertrag. »Wenn Sie bitte die Freundlichkeit hätten, hier die Angaben zu Ihrer Person einzutragen.«
»Übrigens«, sagte Madame Lulu, als Laura sich an den Tisch setzte, »glaubt ja nicht, ihr müsst hier in der Einsamkeit versauern.«
Sie öffnete die Flügel eines Wandschranks, in dem ein Radio zum Vorschein kam. Kaum hatte sie eine Taste gedrückt, berichtete ein Nachrichtensprecher von irgendeinem Gipfeltreffen, das bald in München stattfinden würde, zwischen Hitler und dem Rest der Welt, zur Wahrung des Friedens in Europa. Doch das Röhrenlicht hatte noch nicht ganz aufgeleuchtet, da war Harry schon bei dem Wandschrank, um das Radio wieder auszuschalten.
»Das beschwört nur böse Geister herbei«, sagte er. »Uns reicht das Grammophon.«
Laura hätte ihn für die Antwort am liebsten geküsst. Was ging sie die Welt an? Während sie die Paragrafen des Vertrags überflog, versuchte sie erst gar nicht, die komplizierten französischen Begriffe zu verstehen. Das Glücksgefühl war viel zu stark.
»Dann fehlt wohl nur noch die Unterschrift«, sagte Maître Simon.
Laura tauchte den Füller in das Tintenfass. Doch als sie zu ihrem Namenszug ansetzte, krampfte sich ihr Magen zusammen, seit Monaten zum ersten Mal.
Einen Augenblick zögerte sie. Sollte sie wirklich unterschreiben? Das Geld, mit dem sie das Haus bezahlen würde, hatte ihre Mutter aus London geschick t – für die Operation, zu der Dr. Drieux ihr geraten hatte.
Als Maître Simon ihr auffordernd zunickte, legte sie den Füller aus der Hand.
»Was hast du, Schätzchen?«, fragte Madame Lulu. »Ist dir nicht gut?«
Laura schloss die Augen. War es möglich, dass das Mirakelkraut wirkte?
Als sie die Augen wieder aufschlug, sah sie Harrys Gesicht. Mit einem Lächeln schaute er sie an, als gebe es nichts auf der Welt als nur sie zwei und ihre Liebe.
»Nein«, sagte sie und schüttelte den Kopf. »Es ist alles in Ordnung. Ich habe nur noch mal die Kosten überschlagen.«
Ohne länger zu zögern, nahm sie den Füller und unterschrieb den Vertrag.
Wozu brauchte sie eine Operation, wenn der Große Zauberer bei ihr war?
4
Eine Zeit vollkommenen Glücks brach an. Als hätten die Götter nichts anderes zu tun, als sich um ihre Geschicke zu kümmern, erwachte Laura jeden Morgen mit dem Gefühl, dass das Leben eine wunderbare, überbordende Schatztruhe sei und jeder Augenblick darin ein funkelnder Juwel, den sie
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