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Himmelsdiebe

Himmelsdiebe

Titel: Himmelsdiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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einatmet. Kannst du was spüren?«
    »Ich weiß nicht«, sagte Laura und schnupperte noch einmal an seiner Hand. »Aber vielleicht hast du recht. Vielleicht ist das hier wirklich ein wunderbarer Ort zum Leben.«
    »Na also!«, rief Harry. »Dann wirkt es ja schon! Aber komm, wir wollen schauen, wie unser Palast von innen aussieht.«
    Durch ein Holztor, das fürchterlich in den Angeln quietschte, gelangten sie in ein Gewölbe, das früher vermutlich der Stall gewesen war. Laura betätigte einen Lichtschalter. Zu ihrer Überraschung flammte eine schwache Deckenfunzel auf, offenbar gab es noch Strom im Haus. Eine windschiefe Treppe führte direkt in die Küche. Sie sah aus wie im Schloss von Dornröschen: ein einziges, millionenfach ineinander verwobenes Spinngewebe. Außer einem Tisch und ein paar umgekippten Stühlen entdeckte Laura unter den im Sonnenlicht flirrenden Fäden einen kleinen Kamin, in dem noch verkohlte Holzscheite lagen, und am Fenster einen Schüttstein aus Granit. Eine niedrige Tür führte in ein zweites Zimmer.
    »Ich glaube, das ist unser Salon«, sagte sie und ging voran.
    Die Luft im Nebenraum war so staubig, dass sie einen Hustenanfall bekam. Harry öffnete das Fenster.
    »Wenn man ein Haus in Besitz nimmt, muss man nur wiederholen, was die Menschen getan haben, die früher darin wohnten. Als Erstes also lüften.«
    Von der Anhöhe hatten sie einen wunderbaren Blick auf Sainte-Odile und das Tal. Auf dem Dorfplatz, zwischen Madame Lulus Bistro und der Kirche, spielten ein paar alte Männer Pelote, und am steinigen Ufer der Ardèche knieten Frauen im seichten, glitzernden Wasser und wuschen Wäsche.
    »Kannst du das auch?«, wollte Harry wissen.
    »Wäsche waschen?«, fragte Laura. »Ich dachte, das ist am Arsch der Welt Männersache.«
    »Dann muss wohl das Wahrheitsspiel entscheiden«, erklärte er. »Vorschlag: Wer beim Vögeln als Erstes kommt, muss die nächste Wäsche besorgen.«
    »Jedes Mal?«, fragte Laura. »Ich fürchte, dann kommen wir nicht mit dem Waschen nach.«
    Lachend durchschritten sie den Raum, um Maß zu nehmen und den schwingenden Holzboden zu prüfen. An den Wänden hingen ein paar gerahmte Gemäld e – darunter eine Heilige Familie und eine halbnackte Zigeunerin. Während Laura die Bilder von den Spinnweben befreite, sammelte Harry die Gegenstände ein, die irgendwelche fremden Menschen hier vor Jahren abgelegt und vergessen hatten: Nägel und Schlüssel, Haken und Scherben.
    »Das ist alles Kunst«, sagte er und legte seine Fundstücke in eine Ecke. »Aber was ist das?«
    »Ein Grammophon!«, rief Laura, die den Apparat im gleichen Moment entdeckt hatte wie er. »Was meinst du, ob die alte Kiste noch funktioniert?«
    Auf dem Teller lag eine Schallplatte, die von einer dicken Staubschicht bedeckt war. Laura pustete so lange, bis der Schellack wieder schwarz glänzte, und drehte die Kurbel. Als sie die Nadel auf die Rille setzte, war für ein paar Sekunden nur ein leises Knistern zu hören. Dann ertönte wie aus weiter Ferne die Melodie eines Walzer s – so fein und zerbrechlich und zart, als käme die Musik nicht aus dem rotgoldenen Schalltrichter, sondern direkt aus dem Himmel.
    »Darf ich bitten?« Mit einer Verbeugung trat Harry auf sie zu.
    »O h – will der böse Zauberer mit seinem Mirakelmädchen tanzen?«
    Sie hob die Arme, und während er sich im Takt der Musik bereits auf der Stelle wiegte, ergriff sie seine Hand und schmiegte sich in seinen Arm.
    »Grundkurs Leben, Lektion eins«, sagte er.
    »Und die lautet?«
    »Immer fleißig Wäsche waschen!«, erwiderte Harry und wirbelte sie im Kreis.
    3
    Die Musik war kaum verstummt, da klopfte es an der Tür.
    »Darf man stören?«
    »Madame Lulu!«
    Die Wirtin der Dorfkneipe war noch ungepflegter, als Laura sie in Erinnerung hatte: eine graue Gestalt in einem sackleinenen Kleid, deren nackte, dunkelrot geschwollene Füße in offenen Gummipantinen steckten. Umso größer war der Kontrast zur Erscheinung ihres Begleiters: ein eleganter, hochgewachsener Mittvierziger, der trotz der Hitze einen Nadelstreifenanzug und Fliege trug und nicht mal zu schwitzen schien.
    »Ich hab ja gleich gewusst, dass euch das Häuschen gefällt«, sagte Madame Lulu mit ihrem gutmütigen Bass. »Ein richtiges Liebesnest, wie geschaffen für zwei Turteltäubchen.«
    »Apropos Turteltäubchen«, sagte Harry. »Wollen Sie uns nicht Ihren Begleiter vorstellen?«
    »Aber selbstverständlich«, erwiderte Madame Lulu mit so breitem Lächeln, dass

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