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Himmelsdiebe

Himmelsdiebe

Titel: Himmelsdiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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Wahrheit.
    »Maler. Das heiß t … ich bin Künstler«, stammelte er.
    »Oh, ein Pinselquäler?«
    Mit verächtlicher Miene wandte Capitaine Lelouche sich ab, um die anderen Gefangenen zu befragen. Harry verfluchte seine dämliche Antwort. Wenn man beim Militär war, musste man Koch oder Sattler sein! Wahrscheinlich würde man ihn nun zum Latrinendienst einteilen.
    Als der Kommandant kehrtmachte, um in die Baracke zu gehen, sah Harry sich schon bis zu den Knien in der Scheiße.
    »Außerdem bin ich gelernter Anstreicher!«, rief er dem Kommandanten nach.
    Als hätte ihn eine Wespe gestochen, fuhr der Capitaine herum.
    »Ihr Name?«
    »Harry Winter.«
    Capitaine Lelouche schaute ihn an wie ein Zahnarzt seinen Patienten, bevor er zur Extraktion schreitet.
    »Wer hat Ihnen erlaubt, hier rumzubrüllen?«, fragte er. »Kommen Sie heute Abend auf die Kommandantur. Ich habe eine passende Aufgabe für Sie.«
    2
    Laura nahm das Sieb aus dem Becher, ließ es in den Spülstein fallen und trank einen Schluck von ihrem Orangenblütentee. Bitter schmeckte der Sud auf ihrer Zunge, bevor er durch den Schlund in den Magen rann, um sich in ihrem ganzen Körper auszubreiten. Jetzt konnte sie nur hoffen, dass der Tee ihr half, sich zu übergeben. Denn die Blähkrämpfe waren noch schlimmer als damals in Paris, als Harry sie zum ersten Mal verlassen hatte, um seinen genitalen Verpflichtungen bei Florence nachzukommen. Es war, als hätten sie sich irgendwie in ihrem Unterleib verfestigt, zu einem bösen, harten Klumpen, der ihr wie die Faust eines Riesen im Magen saß.
    Hatte der Köter im Weinberg ihr diesen Klumpen einverleibt?
    Die Tasse in der Hand, stand Laura in der Küche und starrte ins Leere, während die Einsamkeit aus den Mauerritzen von allen Seiten auf sie zukroch. Auf dem Fußboden lag eine ausgetretene Kipp e – Mirakelkraut, das Harry geraucht hatte. Plötzlich erkannte sie, wie alt und schäbig ihre Behausung war. Mit überdeutlicher Schärfe sprang ihr die Wirklichkeit entgegen. Das Haus war gar kein Zauberhaus, sondern ein erbärmliches Drecksloch. Die Decken und Böden in den winzig kleinen Zimmern waren krumm und schief, die Gardinen voller Flecken, die Steinfliesen rissig und die abgestoßenen Stellen an den Simsen so hässlich, dass man sich vor sich selber schämen musste. Es war, als hätten die Dinge rings um sie her über Nacht ihre Seele verloren. Sogar der Wald, den sie durchs Fenster sah, war nicht mehr derselbe. Früher war er ein magischer Ort gewesen, bevölkert von freundlichen Geistern und Nachtigallen, die wachsam in den Baumwipfeln hockten. Jetzt war der Wald nur noch ein Haufen totes Holz.
    Warum hatte der Große Zauberer sie verlassen?
    Auf dem Küchentisch lagen Bobbys Briefe. Laura hatte sie gelesen, gleich nachdem die Soldaten Harry fortgeschleppt hatten, nur um irgendetwas zu tun gegen dieses übermächtige Gefühl der Einsamkeit. Die Briefe enthielten lauter Nachrichten, die sie nicht begriff. Von brennenden Synagogen in Deutschland und zertrümmerten Fensterscheiben war darin die Red e … Von Menschen, die gelbe Abzeichen tragen mussten und wie Vieh durch die Straßen getrieben wurde n … Von Polizisten in braunen Uniformen und Steine werfenden Halbwüchsige n … So werde es bald in ganz Europa aussehen, schrieb Bobby. Und immer wieder flehte er seinen Vater an, zu ihm nach Amerika zu kommen, zusammen mit Mathilde, seiner Mutter.
    Ein Geräusch unten im Stall schreckte Laura auf. Wer war das? Lulu? Pepe? Ode r – sie hielt den Atem a n – wollte man sie jetzt auch abholen? Um sich zu bewaffnen, nahm sie einen Blumentopf von der Fensterbank und lauschte angespannt in die Stille hinein. Irgendjemand kam die Treppe herauf. Ein Gedanke zuckte durch ihr Gehirn. War das vielleich t – Harry? Weil alles nur ein böser Scherz war?
    »Mäh!«, blökte unten das Schaf.
    Plötzlich wurde Laura schlecht. War das die Wirkung des Suds oder die Enttäuschung? Sie wollte gerade den Blumentopf abstellen, um das Plumpsklo im Hof aufzusuchen, da flog die Küchentür auf, und ein schwarzes, Zähne fletschendes Biest schoss auf sie zu.
    Im selben Moment, in dem sie den Köter erkannte, warf sie ihm den Blumentopf entgegen. Doch das Geschoss verfehlte sein Ziel. Laut kläffend floh der Hund zurück auf die Treppe. Laura folgte ihm nach, hinunter in den Stall. Im Laufen schnappte sie sich einen Spaten, der irgendwo an einer Wand lehnte. Der Hund war das Böse, alles, was sie verfolgte, der Teufel, die

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