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Himmelsdiebe

Himmelsdiebe

Titel: Himmelsdiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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los ist«, zischte er. »Am Lagerzaun sin d – Frauen! Unsere Frauen!«
    10
    Wie in süßem Schlummer lag die alte Ziegelei da, als Harry mit seinen Kameraden ins Freie schlich. Vorsichtig schaute er sich um. Das weite, niedrige Hauptgebäude war von kahlen, weißen Höfen umgeben, auf die sich die Nebengebäude mit der Schreibstube, dem Krankensaal und dem Küchentrakt verteilten. Doch seltsam, von den Wachsoldaten, die sonst die ganze Nacht in Doppelposten auf dem Gelände patrouillierten, war weit und breit nichts zu sehen. Alles war menschenleer und verlassen.
    »Los, mach schon!«
    Jemand stieß Harry in den Rücken. Im Schutz der hohen Ziegelmauer, die das Areal zu beiden Seiten der Fabrik abschloss, huschten sie einer hinter dem anderen zum rückwärtigen Teil des Geländes, wo eine mit Stacheldraht gesicherte Böschung die Lagerinsassen an der Flucht hinderte. Schon von Weitem erkannte Harry die Schatten von Männern und Frauen, die am Zaun miteinander sprachen. Auch hier gab es keine Wachtposten, nur ganz am Ende der Böschung glaubte er die Glut einer Zigarette in der Dunkelheit aufglimmen zu sehen. Offenbar waren die Soldaten entschlossen, sie gewähren zu lassen. Harry spürte, wie sein Herz zu klopfen anfing. Sollte es wirklich möglich sein, dass er seine Windsbraut wiedersah?
    Leises Flüstern empfing ihn am Zaun, in allen möglichen Sprachen. Er kniff die Augen zusammen, um besser zu sehen. Wo war Laura? Sie musste hier sei n – Sainte-Odile war doch keine hundert Kilometer entfernt!
    Auf einmal hörte er eine vertraute Stimme.
    »Hier, Harry! Hier bin ich!«
    Er trat an den Zaun und blickte durch den Stacheldraht. Als er die Gestalt auf der anderen Seite erkannte, traute er seinen Augen nicht.
    »Mathilde?«, fragte er. »Bist du das?«
    »Nein, der Heilige Geist«, erwiderte sie und grinste über ihr Volksschullehrerinnengesicht.
    Harry war so überrascht, dass er kaum Worte fand. »Mein Gott, ist das schön, dich zu sehen. Aber sa g – wie kann es sein, dass du frei rumläufst? Du bist doch eine Deutsche! Eine feindliche Ausländerin!«
    »Sie hatten mich auch eingesperrt. In Gurs, im Frauenlager. Aber sie haben mich wieder laufen lassen. Weil ich Jüdin bin. Sie meinen, wenn die Deutschen Frankreich überfallen, würden sie uns auch hier verfolgen.«
    »Jude müsste man sein«, sagte Harry. »Beneidenswert!«
    Mathilde machte einen Schritt zurück. »Weißt du eigentlich, was für ein Arschloch du manchmal bist?«
    Erst jetzt kapierte Harry, was er gesagt hatte. »Entschuldigung. Du hast allen Grund, sauer zu sein.«
    Er schämte sich wirklich. Doch zu seiner Erleichterung lächelte Mathilde schon wieder.
    »Warum kann ich dir eigentlich nie böse sein?«
    Durch den Zaun streckte er ihr seine Hand entgegen. »Ich bin dir so dankbar, dass du gekommen bist«, sagte er. »Das habe ich gar nicht verdient.«
    »Da kann ich dir nicht widersprechen«, sagte sie und drückte seine Hand. »Aber, um ehrlich zu sein, ich bin gar nicht wegen dir hier.«
    »Nicht wegen mir? Wegen wem denn sonst?«
    »Wegen Carl.«
    »Wer ist Carl?«
    »Carl Altstrass. Der Mann, mit dem ich seit zwei Jahren zusammenlebe. Ich habe dir in Paris von ihm erzählt.«
    »Ja, natürlich, wie dumm von mir.« Enttäuscht ließ er die Hand sinken.
    »Carl ist auch hier«, sagte Mathilde. »Bist du ihm nie begegnet?«
    Harry schüttelte den Kopf. »Wir sind hier so viele, da verliert man den Überblick. Neulich habe ich zum Beispiel Lion Feuchtwanger getroffen, den Schriftstelle r …« Plötzlich fiel ihm ein, warum er überhaupt an diesem Zaun stand. »Hast du Laura gesehen?«
    »Nein«, sagte Mathilde. »Die Frauen hier sind alle aus Gurs. Ein paar der ehemaligen Wärter dort bewachen jetzt euch. Von ihnen haben wir erfahren, dass ihr hier seid. Für ein paar Stangen Zigaretten haben sie sogar Mitleid. Deshalb schauen sie weg und lassen uns an den Zaun.«
    Harry blickte noch einmal auf die Reihe der Frauen. Mathilde hatte recht. Laura war nicht dabei. Er hätte sie mit geschlossenen Augen erkannt.
    »Hast du vielleicht irgendwelche Nachrichten von ihr?«, fragte er.
    »Ich wollte wirklich, ich hätte«, antwortete Mathilde. »Aber ich habe keine Ahnung. Woher auch? Ich weiß ja nicht mal den Namen eures Dorfs.«
    »Sainte-Odile-d’Ardèche! Hab ich dir das nicht geschrieben?«
    »Nein. Du hast mir überhaupt nicht geschrieben. Aber mach dir keine Sorgen. Laura ist Engländerin, ihr kann nichts passieren.«
    Harry klammerte sich mit

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