Himmelsdiebe
Schlaf ihr seine Erlösung. Dann nahm sie all ihre Willenskraft zusammen und schleppte sich hinauf ins Atelier, um zu malen. Aus Angst, dass sie sich etwas antun könnte.
In der Dunkelheit wartete ein Paar hellblauer Augen auf sie.
»Du hattest mir einen Kuss versprochen«, sagte Laura.
»Dafür hättest du ins Lager kommen müssen«, erwiderte Harry.
»Aber das darf ich doch nicht! Es ist zu gefährlich! Sie würden dich dafür bestrafen!«
»Mag sein. Aber jetzt habe ich es mir anders überlegt. Ich habe keine Lust mehr, dich zu küssen.«
Seine Antwort war ein Stich in ihr Herz. »Sag mir wenigstens, wie es dir geht«, flüsterte sie.
Mit kaltem Spott erwiderte Harry ihren Blick. »Glaubst du, in meinem Alter brauche ich noch eine Gouvernante? Ich kann es nicht leiden, wenn jemand hinter mir herspioniert. Ich bin groß genug, um auf mich selber aufzupassen.«
»Aber ich will doch nur wissen, dass es dir gut geht! Weil ich dich liebe!«
Statt ihr eine Antwort zu geben, zuckte er die Schultern. Nichts schien ihm gleichgültiger zu sein.
»Außerdem hast du dein Versprechen gebrochen«, sagte er. »Am Rande des Wahnsinns wollten wir leben und niemals nüchtern sein. Nur darum habe ich dich geheiratet. Und was ist aus dir geworden? Eine verzweifelte Muse, die mir was vorheult und mir ein Kind andrehen will.«
Entsetzt trat Laura von ihrem Bild zurück. »Warum hast du das Mirakelmädchen umgebracht?«
13
Ein Klopfen an der Haustür weckte Laura am nächsten Morgen auf. Es dauerte eine Weile, bis die Laute durch die Wand aus Schlaf und Alkohol den Weg in ihr Gehirn fanden.
Wer konnte das sein? Maître Simon? Hatte er eine Besuchserlaubnis bekommen?
Eilig stand sie auf, streifte sich eine Hose und einen Pullover über und lief die Treppe hinunter.
Als sie die Haustür öffnete, stand nicht der Notar, sondern Pepe im Hof. Wie immer, wenn sie den Briefträger sah, war ihr erster Gedanke Harry.
»Was gibt’s? Hast du Post für mich?«
Ohne die Augen von ihr zu lassen, kramte Pepe in seiner Tasche.
»Nun mach schon! Beeil dich!«
Endlich hatte er gefunden, wonach er suchte. Während er sie mit den Augen verschlang, reichte er ihr ein Telegramm. Laura erschrak. Ein Telegramm bedeutete nichts Gutes. Mit zitternden Fingern öffnete sie das Kuvert.
Als sie die ersten Worte las, stieß sie einen Freudenschrei aus.
»Da s … das ist j a … WUNDERBAR !«
Weil niemand sonst da war, fiel sie Pepe um den Hals und gab ihm einen Kuss, mitten auf den Mund. Vor Glück grunzte er wie ein Schwein. Laura nahm seine Hände und tanzte mit ihm einmal im Kreis herum, bevor sie ihn stehen ließ, um durch den Weinberg hinunter ins Dorf zu laufen. Ein solches Ereignis musste gefeiert werden!
»Champagner!«, rief sie, kaum dass sie das leere Bistro betreten hatte.
Lulu stand in ihrer Kittelschürze am Tresen und machte mithilfe ihres Anschreibebuchs die Monatsabrechnung für ihre Stammgäste.
»Was ist denn in dich gefahren?«, fragte sie, als sie Laura sah. Sie nahm die Brille von der Nase und klappte das Buch zu. »Ich dachte, du stehst immer erst am Nachmittag auf.«
»Quatsch nicht so viel! Hol uns lieber eine Flasche!«
»Champagner am frühen Morgen?«
»Ja! Jetzt gleich!«
»Und wovon willst du die bezahlen?«
»Frag nicht so dumm! Schreib’s an!«
Während Lulu grummelnd im Keller verschwand, fischte Laura zwei Gläser aus dem Spülbottich. Sie konnte es kaum abwarten, endlich anzustoßen.
»Und was gibt’s zu feiern, wenn ich fragen darf?«, wollte Lulu wissen, als sie mit ihren Gummilatschen in den Schankraum zurückgeschlurft kam.
»Stell dir vor, sie lassen Harry frei!«, rief Laura.
»Nein! Das glaube ich nicht!«
»Doch! Ein berühmter Freund von ihm, Pierre Lauréat, hat einen Brief an den Ministerpräsidenten geschrieben, und der hat seine Entlassung angeordnet. Stell dir vo r – der Ministerpräsident persönlich!«
»Leck mich am Arsch! Das ist allerdings ein Grund zum Feiern!«
Mit lautem Knall schoss der Pfropfen aus der Flasche. Laura reichte Lulu ihr Glas.
»Ich danke dir«, sagte sie, als sie miteinander anstießen.
»Wofür?«, fragte Lulu.
»Für alles. Ich weiß nicht, wie ich die Zeit ohne dich überstanden hätte.«
»Ach, Schätzchen. Dafür sind Freunde doch da.«
»Nein«, widersprach Laura. »Jeden Abend habe ich mich bei dir ausgeheult. Außerdem hast du mir so viel Geld geliehen. Allein die Rechnungen von Maître Simon.«
»Vergiss nicht den Champagner!«
Lachend
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