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Himmelsdiebe

Himmelsdiebe

Titel: Himmelsdiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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öffneten sich seine Lippen.
    »Wann kommst du zu mir ins Lager?«, flüsterte er. »Ich würde dich so gerne küssen.«
    9
    In der Katakombe herrschte so angespannte Stille, dass man das Rascheln der Ratten im Stroh hören konnte. Harry spürte, wie ihm vor Angst der Mund austrocknete. Seelenruhig zog Alois Waluschek sich die Jacke aus und hängte sie über einen Stuhl. Auf den Muskelbergen, die sich unter dem Hemd des Wiener Handelsvertreters abzeichneten, hätten als Malgrund ganze Wiesen und Wälder Platz gehabt. Harry konnte froh sein, wenn er diesen Abend überlebte, ohne dass der Kerl ihm die Zähne ausschlug.
    Nein, er würde sich mit diesem Fleischberg nicht prügeln. Lieber eine Minute feige als ein Leben lang mit einem falschen Gebiss.
    »Will der Herr Künstler im Jackett boxen?«, fragte Waluschek.
    Harry wollte schon einen Rückzieher machen, da hatte er eine Idee.
    »Hat jemand eine leere Flasche?«
    »Wozu brauchen Sie die?«, fragte Waluschek höhnisch. »Sie sind doch selber eine!«
    »Ich würde gern ein Spiel mit Ihnen spielen. Es heißt das Wahrheitsspiel.«
    »Wahrheitsspiel? Was soll das sein?«
    »Es wird Ihnen gefallen«, erwiderte Harry, während jemand ihm eine Flasche reichte. »Eine Art Prügelei. Nur dass man sich nicht mit Fäusten, sondern mit Fragen schlägt. Ein Spiel, um die Wahrheit über einen Menschen zu erfahren.«
    »Ach so, wie beim Kindergeburtstag?«, sagte Waluschek. »Nein, das ist mir zu blöd.«
    »Schade.« Harry zuckte die Achseln. »Ich dachte, Sie wären mutiger.«
    »Wollen Sie behaupten, ich wäre feige?«
    »Sehen Sie, das Spiel fängt schon an.«
    »Und ob!« Waluschek riss Harry die Flasche aus der Hand und ging zu dem einzigen Tisch im Raum. »Was ist der Einsatz?«, fragte er und ließ die Flasche kreisen.
    »Wenn Sie mich bei einer Lüge erwischen, melde ich mich zum Latrinendienst. Und Sie?«
    »Latrine kommt nicht infrage. Reichen drei Zigaretten?«
    »Einverstanden.«
    Während Waluschek eine Packung Gauloises aus der Tasche holte, trudelte die Flasche aus. Der Hals zeigte auf Harry.
    »Sind Sie Kommunist?«, wollte Waluschek wissen.
    »In Maßen.«
    »Hab ich’s doch gewusst!« Triumphierend blickte Waluschek in die Runde.
    Jetzt war Harry an der Reihe. Wieder zeigte die Flasche auf ihn.
    »Sind Sie jüdisch versippt?«, fragte Waluschek.
    »Leider nicht«, sagte Harry. »Ich sehe nur so intelligent aus.«
    Ein paar Männer lachten. Noch einmal drehte Harry die Flasche. Diesmal zeigte sie auf Waluschek.
    »Nun, was wollen Sie wissen?«
    Harry zögerte. Zum Glück war Laura nicht d a – er würde sich sonst in Grund und Boden schämen. Doch was blieb ihm übrig? Im Pfadfinderlager galten Pfadfinderregeln!
    »Wann haben Sie das letzte Mal onaniert?«, fragte er.
    Waluschek zuckte kurz zusammen, dann hatte er sich wieder gefasst.
    »Solche Schweinereien überlasse ich Ferkeln wie Ihnen«, knurrte er.
    »Gelogen!«, erwiderte Harry. »Jede Nacht holen Sie sich einen runter. Trotz des Broms. Das ganze Lager bewundert Sie dafür.«
    Waluschek zog ein höhnisches Gesicht. »Das kann jeder behaupten.«
    »Ich kann es beweisen!«
    »Da bin ich aber gespannt.«
    Harry grinste. Leise nuschelte er ein paar unverständliche Worte.
    »Was?«, fragte Waluschek. »Reden Sie lauter!«
    Harry wiederholte sein Genuschel.
    »Verflucht noch mal! Reden Sie so, dass man Sie verstehen kann!«
    Harry holte tief Luft. » WER VIEL ONANIERT , HÖRT SCHLECHT !«, rief er so laut, dass es bis in den hintersten Winkel der Katakombe drang.
    Die Männer brüllten vor Lachen. Waluschuk platzte fast vor Wut. Er war in die Falle gegangen.
    »Du verdammter Kommunist!«
    Ohne sich einschüchtern zu lassen, griff Harry nach den Zigaretten. Während er sie unter Waluscheks giftigen Blicken in die Tasche steckte, näherten sich plötzlich Schritte. Wie auf Kommando verschwanden die Männer zwischen den alten Brennöfen, wo ihre Strohlager aufgeschüttet waren.
    »Licht aus!«
    Im selben Moment wurden die Lampen gelöscht. Nur das Ewige Licht, für das es keinen Schalter gab, brannte weiter. Harry starrte in den dunklen Korridor, aus dem die Schritte kamen. Hatten sie die Wachen geweckt? Wenn sie Pech hatten, gab es dafür Arrest. Doch statt eines Soldaten erschien im Schein des Ewigen Lichts nur Erich Hirngiebel, ein Theologieprofessor aus Tübingen, der im Lager als Küchenhilfe arbeitete. Er war so aufgeregt, dass er kaum sprechen konnte.
    »Sie können sich nicht vorstellen, was draußen

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