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Himmelsdiebe

Himmelsdiebe

Titel: Himmelsdiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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hatte kein Interesse an dem Spiel. Er war sich seiner Sache so sicher gewesen, als Maître Simon in der Kommandantur aufgetaucht war. Doch der Notar hatte nichts erreicht. Anstatt Colonel Jospin zu bestechen oder ihm mit einer Aufsichtsbeschwerde zu drohen, hatte er sich ausführlich nach dem absurden Spionagevorwurf erkundigt, den Pepe erhoben hatte. Am Ende des Gesprächs hatte der Kommandant erklärt, er werde eine Anfrage nach Paris schicken. Bis die entschieden sei, könne er es unmöglich verantworten, Harry zu entlassen.
    Was würde passieren, wenn Waluschek recht behielt und die Deutschen Paris eroberten? Kam er dann je wieder hier raus?
    Als die Flasche zum Stillstand kam, wies der Hals auf Harry. Alle Köpfe drehten sich zu ihm herum. Auch Laura schaute ihn an, vom Boden der Käseschachtel aus, die er mit ihrem Gesicht bemalt hatte. Ein stummer Vorwurf sprach aus ihren schwarzen Augen. Sie hatte das Wahrheitsspiel noch nie leiden mögen.
    »Raus mit der Sprache«, rief Willy Weigand, genannt Stenz, ein Metzgermeister aus Altena im Sauerland. »Spannen Sie uns nicht auf die Folter!«
    »Vielleicht kann der Herr Künstler ja nicht so weit zählen?«, sagte Alois Waluschek. »Oder ist er etwa gschamig?«
    »Lasst mich in Ruhe«, sagte Harry. »Ich habe heute keine Lust auf Kindergeburtstag.«
    Noch während er sprach, jaulten plötzlich Sirenen. Keiner blieb an seinem Platz. Was zum Teufel sollte das? Noch nie waren im Lager Sirenen gegangen. Wie Ratten, die nur ihrem Instinkt gehorchen, verschwanden die Männer zwischen den Brennöfen.
    »Licht aus!«
    Im nächsten Moment war alles dunkel. Nur das Ewige Licht brannte noch, die Funzel vor dem Waschraum. Auch Harry war in seiner Nische verschwunden. Während er gegen die Decke starrte, horchte er in die Dunkelheit hinein. Wieder jaulten die Sirenen.
    »Aaaah, das ist Musik in meinen Ohren«, sagte Alois Waluschek. »Schöner als Mozart und Beethoven zusammen.«
    »Sind Sie verrückt?«, zischte Erich Hirngiebel. »Das ist Fliegeralarm!«
    »Na Gott sei Dank! Hermann Göring schickt uns seine Jungs, damit sie uns hier rausholen.«
    »Halten Sie Ihr gottverdammtes Maul«, rief jemand. »Sonst gibt’s was auf die Fresse!«
    »Bitte keinen Streit, meine Herren. Das ist vielleicht ja nur ein Probealarm!«
    »Träumt schön weiter, ihr Idioten«, lachte Alois Waluschek. »Wenn wir nichts abkriegen, dann nur, weil unsere Jungs wissen, dass hier auch anständige Deutsche eingesperrt sind. Nicht nur Juden und Kommunisten.«
    21
    In dieser Nacht fielen noch keine Bomben. Doch am nächsten Morgen gab die Lagerleitung Befehl, Unterstände zu graben, zum Schutz der Gefangenen vor Luftangriffen. Bis jetzt war vom Krieg in Les Milles noch nichts zu spüren gewesen. Aber wenn Italien sich mit Deutschland verbündete, konnte sich das schlagartig ändern. Der nächste italienische Flughafen lag nur eine halbe Flugstunde entfernt.
    Zwei Tage lang überschlugen sich im Lager die Gerüchte. Besonders gefragt waren die Dolmetscher, ein Französischlehrer aus Paderborn und ein Weinhändler aus Straßburg, die als Verbindungsleute zwischen der Lagerleitung und den Internierten am besten informiert waren.
    »Habt ihr eine Ahnung, was Mussolini vorhat?«
    »Sobald wir was hören, sagen wir euch Bescheid.«
    »Ihr müsst es doch wissen! Ihr seid doch von morgens bis abends auf der Kommandantur.«
    »Allerdings. Wir haben heute sogar mit Colonel Jospin gefrühstückt.«
    »Un d – was sagt er?«
    »Er hat uns gefragt, was Mussolini wohl vorhat.«
    Die Schanzarbeiten wurden von einem Sergeant aus Brest geleitet, der von seiner Aufgabe nicht die geringste Ahnung hatte. Harry, der schon im Ersten Krieg Unterstände ausgehoben hatte, konnte nur hoffen, dass er die Folgen nicht am eigenen Leib zu spüren bekam. Der Graben verlief viel zu nah am Hauptgebäude entlang. Wer bei einem Bombenangriff darin Unterschlupf suchte, würde von den einstürzenden Mauern begraben.
    »Haben Sie schon beim Ministerpräsidenten Beschwerde eingelegt?«, fragte Alois Waluschek, der neben Harry mit einer Spitzhacke den Boden traktierte. »Wird langsam Zeit mit der Entlassung. Sonst sehe ich schwarz für Sie.«
    Harry versuchte, den Fettsack zu ignorieren. Seine Aufgabe war es, Zement und Sand zu mische n – der Sergeant war auf den Einfall gekommen, die Wände der Gräben zu armieren. Er goss einen Eimer Wasser in die Betonwanne und verrührte mit seiner Schaufel das Gemisch. Die Tätigkeit lenkte ihn ab.

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