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Himmelsdiebe

Himmelsdiebe

Titel: Himmelsdiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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verlassen.«
    Laura hielt sich die Ohren zu. Wie hatte sie nur glauben können, er würde bei ihr bleiben? Er hatte ihr ja selbst prophezeit, was jetzt geschah. Er hatte es im Traum gesehen, hatte ihr gesagt, dass er sie verlassen musste, wenn sie nicht mehr so war, wie er sie haben wollte. Beim letzten Bad unten am Fluss war das gewesen, an jenem Tag, als sie begriffen hatte, dass sie nie wieder einen Mann so lieben würde wie ihn.
    Wie im Rausch hatte sie damals gelebt. Jetzt war sie nur noch verzweifelt.
    »Du hast Pepe zu mir geschickt«, sagte sie. »Du hast ihn verhext. Damit ich glaubte, du wärst es, der zu mir zurückgekommen ist. Das verzeihe ich dir nie.«
    »Beeil dich mit dem Sterben«, antwortete er. »Die Hölle der Erwachsenen ist nicht halb so lustig wie die Hölle der Windsbräute.«
    Gift sprühte aus seinen türkisblauen Augen. Um sich nicht die Pulsadern aufzuschneiden, nahm Laura einen Pinsel und fing an, ihr Bild zu übermalen. Das Bild war eine Lüge! Es zeigte Harry in einer sonnendurchfluteten Landschaf t – doch in Wahrheit lebte er am Nordpol, in einer Welt aus Ei s … Mit derselben Besessenheit, mit der sie den ganzen Tag im Weinberg gearbeitet hatte, bearbeitete sie nun das Porträt. Dutzende von Malen hatte sie Harry schon porträtiert, doch immer hatte sie ihn so gemalt, wie er es ihr beigebracht hatte. Jetzt malte sie ihn, wie sie ihn mit ihrem inneren Auge sah, dem Auge ihrer Seele. Die ganze Nacht verbrachte sie damit, die Wahrheit zum Vorschein zu bringen, die sie in sich selber fand, sein wahres Gesicht. Es war ein Antlitz aus Eis. Während rings um ihn her tiefer Winter Einzug hielt, verschwand alle Zärtlichkeit und Wärme aus seinen Zügen. Hart und stechend blickte Harry auf die Schneekristalle zu seinen Füßen, und sein rotes Federgewand verwandelte sich in einen Fischschwanz: ein ferner, böser, grausamer Vater in einer erstarrten Eiswüste, die so klirrend kalt war, dass selbst das Wildpferd darin zum Eistier gefror.
    Laura trat zurück, um ihr Bild zu betrachten. Es war das beste Bild, das sie je gemalt hatte. Das erste Bild, das wirklich ihr eigenes Bild war.
    »Hast du es endlich kapiert?«
    Längst war der neue Tag angebrochen, die Sonne stand schon hoch am Himmel, und im Garten sangen die Vögel, als Laura diese Stimme hörte, die nicht die seine war.
    Sie legte den Pinsel beiseite und drehte sich um.
    Vor ihr stand Geraldine, ihre Freundin aus London.
    23
    Nacht für Nacht sank mit der Dunkelheit die Angst auf die Ziegelei von Les Milles herab. Zweitausend Männer drängten sich in der Katakombe zusammen und warteten im Schein des Ewigen Lichts darauf, dass wieder die Sirenen heulten und die Flugzeuge kamen. Zwei weitere Angriffe hatten die Deutschen und Italiener nach dem ersten Bombardement bereits geflogen. Obwohl noch keine Bombe das Lager getroffen hatte, stank es in der Katakombe inzwischen wie in einer Latrine. Das Stroh am Boden war feucht von Kot und Urin.
    Unter den Gefangenen kursierten ständig neue Hiobsbotschaften. Angeblich befand sich der Norden Frankreichs schon vollständig in deutscher Hand. Wann würde die Wehrmacht Paris einnehmen? Oder war die französische Hauptstadt schon gefallen?
    Jeden Tag trafen neue Gefangenentransporte im Lager ein. Die Berichte der Ankömmlinge vermehrten die Angst nur noch mehr. Die Deutschen hatten die Seine überschritten! Ganz Frankreich befand sich in Auflösung. Millionen von Flüchtlingen verstopften die Straßen. Züge wurden planlos hin und her geschickt, niemand gab den Insassen Nahrung oder Wasser, Kranke und Greise verreckten in den Waggons. Und während von Norden die Deutschen immer näher rückten, kamen von Osten bereits die Italiener.
    Warum reagierte die Lagerleitung nicht? Wollten die Franzosen nicht begreifen, wie schnell die Faschisten machten? Schon morgen konnten sie in Les Milles sein! Und dann?
    Die Nazis im Lager vermehrten sich wie die Karnickel. Kein Volksgenosse machte mehr ein Hehl aus seiner Gesinnung. Für Nachrichten verlangte Waluschek Geld, um Wein für die Feste zu organisieren, mit denen er und seine Kumpane ihre Befreiung im Voraus feierten. Wer nicht zahlte, wurde verprügelt. Nur eine Nachricht gab Waluschek kostenlos weiter: Mit tränenerstickter Stimme habe der französische Ministerpräsident die Amerikaner im Radio angefleht, Frankreich zu helfe n – sonst sei sein Land verloren.
    Am nächsten Morgen rückten die Wachsoldaten aus, um vor dem Hauptgebäude der Ziegelei zu

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