Himmelsdiebe
erobert.«
»Ich stehe unter dem persönlichen Schutz Ihres Ministerpräsidenten. Wenn Sie sich weigern, mich freizulassen, werde ich mich über Sie beschweren.«
Der Kommandant säuberte sich mit der Serviette den Mund, um das Mahl zu beenden. »Meinen Sie im Ernst, unser Ministerpräsident würde einen deutschen Spion beschützen?«
»Spion?«, fragte Harry. »Von wem reden Sie?«
»Von Ihnen.« Colonel Jospin holte eine Akte aus der Schublade seines Schreibtischs. »Mir liegt eine Anzeige gegen Sie vor, Monsieur. Aus Sainte-Odile d’Ardèche. So heißt doch der Ort, in dem Sie leben, nicht wahr?« Er schlug den Deckel auf und blätterte in der Akte. »Ah ja, da haben wir es ja. Sie sollen des Nachts mit einer Laterne Morsezeichen gesendet haben. Die Aussage wurde überprüft. Sie stammt von einem französischen Staatsbeamten, einem Briefträger namen s …«
»Joseph Morot, genannt Pepe«, fiel Harry ihm ins Wort. »Das ist ein taubstummer Idiot, der sich in meine Braut verliebt hat. Und überhaup t – Morsezeichen. So ein Quatsch! Wohin soll ich die denn gesendet haben?«
»Nach Deutschland natürlich!« Colonel Jospin schaute ihn an wie ein Lehrer, der von der Antwort seines Schülers zutiefst enttäuscht ist. »Nun, mein Freund, ich fürchte, Ihre Entlassung wird sich noch ein wenig verzöger n …«
»Einspruch, Euer Ehren!«
Als Harry die vertraute Stimme hörte, fuhr er herum. In der Tür stand ein überaus eleganter Herr in einem Nadelstreifenanzug.
»Maître Simon?« Harry war noch nie so froh gewesen, einen Juristen zu sehen. »Sie hat der Himmel geschickt!«
»Höhere Kräfte waren tatsächlich im Spiel«, erwiderte der Notar. »Doch nicht der Himmel, sondern Mademoiselle Paddington.« Mit einer Verbeugung wandte er sich an den Kommandanten. »Bitte verzeihen Sie, dass ich einfach hier eindringe, aber Ihr Adjutant war so freundlich, mir zu erlauben, Ihnen meine Aufwartun g …«
»Schon gut, schon gut!«, fiel Colonel Jospin ihm ins Wort. »Aber wer zum Kuckuck ist Mademoiselle Paddington?«
»Meine Braut«, erklärte Harry. »Eine Engländerin. Ein e – Verbündete!«
»Gegen Hitler oder gegen mich?«
»Gegen Hitler natürlich!«
Der Kommandant schüttelte mit einem Lächeln den Kopf. »Und da behaupten die Leute immer, Engländerinnen verstünden nichts von Liebe.«
18
Ein sanfter, sonnengewärmter Wind wehte durch das offene Fenster den Duft von Thymian und Lavendel ins Haus, während die Grillen draußen im Garten sich schon auf den Sommer einstimmten. Den ganzen Morgen hatte Laura versucht zu malen. Aber unter der Eiseskälte des Blicks, der sie aus den blauen Augen ihres Geliebten traf, fror sie wie im Winter, und der Pinsel erstarrte ihr an der Hand.
»Warum kommst du nicht zu mir zurück?«
So oft hatte sie beim Malen mit Harry gesprochen. Doch seit Maître Simon aus Les Milles zurückgekehrt war, verweigerte er ihr die Antwort. Fünfhundert Franc hatte Laura sich von Lulu geliehen, und der Notar hatte ihr versichert, dass es sich nur um Tage handeln könne, bis Harry entlassen würd e – der Kommandant habe ihm sein Wort gegeben. Aber die Zeit verging, ohne dass von Harry etwas zu sehen oder zu hören war. Inzwischen war der Klumpen in ihrem Bauch angeschwollen wie zu der Zeit, als sie noch die Sache hatte, und das Bedürfnis, sich zu übergeben, quälte sie fast so sehr wie das ewige Schweigen ihres Geliebten. Immer wieder lief sie in die Küche, um aus dem Orangenblütensud einen Tee zu brauen. Aber sie durfte nicht so viel von diesem Tee trinken. Der Klumpen in ihrem Bauch war nicht die Sache , der Klumpen bewegte sich, und wenn sie sich übergab, gefährdete sie ihr Kind.
»Liebst du mich nicht mehr?«
Stumm und kalt wie ein Fisch schaute Harry sie an. Manchmal, wenn sie morgens aufwachte nach ein paar Stunden Schlaf, wenn die Sonne auf ihr Gesicht schien und das Schaf, das sie zu sich ins Haus genommen hatte, damit es sie vor dem schwarzen Biest draußen beschützte, sein Fell an ihre Füße schmiegte, wenn sie sich reckte und das Licht der Sonne durch ihren Körper rieselte, genoss sie für Minuten das Glück des Vergessens. Sie war im Zauberhaus, unter dem Schutz der Penaten. Doch sobald sie die Augen aufschlug und in Harrys Gesicht sah, holte die Erinnerung sie ein, und das Zauberhaus verwandelte sich in das Haus der Angst. Früher hatte sie immer gedacht, das Haus der Angst wäre das Haus ihrer Eltern. Aber sie hatte sich geirrt. Das wirkliche Haus der Angst war
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