Himmelsdiebe
wir heute Abend in Spanien sind.«
»Na, wunderbar, ich wollte schon immer wissen, wie Paella schmeckt. Ich hoffe nur, wir brauchen keine Visa . – Verflucht, was ist denn das für eine Sauerei?«
Laura beugte sich vor. Als sie sah, was Geraldine meinte, wurde sie zu Stein.
Am Straßengraben lag ihr Schaf, mit durchgebissener Kehle. Zwei tote Augen glotzten sie an, während der schwarze Köter im Weinberg verschwand.
Fünftes Buch
Grenzland
Sainte-Odile/San Sebastian
1940
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Es war ein drückend heißer Junitag, als das Lager von Les Milles endlich aufgelöst wurde. Auf dem Fabrikgelände, wo sonst endlose Menschenschlangen vor den Baracken und Aborten ausharrten, herrschte heilloses Durcheinander. Unter dem Kommando aufgeregt brüllender Sergeanten drängten und stolperten ganze Heerscharen von Gefangenen zum Tor hinaus in Richtung Bahnhof, der sich in unmittelbarer Nähe der Ziegelei befand.
»Vorwärts marsch!«
Es war ein langer Zug, der für sie bereitstand. Wie lang er war, bekam Harry zu spüren, als er in der brütenden Hitze seine dreißig Kilo Gepäck an den unzähligen Waggons entlangschleppte. Ja, Colonel Jospin hatte tatsächlich Listen auslegen lassen, damit die Gefangenen selbst über ihr Schicksal entscheiden konnten. Von den dreitausend Mann im Lager hatten sich über zweitausend zum Abtransport gemeldet. Lieber wollten sie unterwegs verrecken als hier in der Falle warten, bis die Deutschen kamen, um sie wie Karnickel abzuknallen.
»Abteilung halt!«
Harry stellte seine Koffer ab und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Mit lautem Zischen entwich der Dampf aus der Lokomotive. Hoffentlich explodierte der Kessel nicht! Der Zug sah aus, als wäre er schon im Deutsch-Französischen Krieg im Einsatz gewesen. Doch immerhin war es ein wirklicher Zug, der auf wirklichen Schienen stand, und die Schienen führten hinaus aus Frankreich, zur spanischen Grenze, in ein Land, wo sie die Chance hatten zu überleben.
» Allez hopp! «
Erich Hirngiebel, der Harry in dem Chaos nicht von der Seite gewichen war, blickte ratlos an der Waggontür hinauf. Der Einstieg war auf der Höhe seines in Ehren ergrauten Gelehrtenschädels, und es gab keine Leiter.
»Sind wir hier im Zirkus?«, fragte er mit einem Seufzer.
»Denken Sie an Ihre Frau, Herr Professor. Oder an Ihre Doktorandin.«
Ein paar jüngere Gefangene kletterten in den Waggon und streckten ihnen die Arme entgegen. Zehn Pferde oder fünfzig Mann , stand an der Außenwand geschrieben.
»Nach Ihnen, lieber Herr Winter!«
Im Wageninnern sah Harry nur vier Wände und eine Luke. Dazwischen quetschten sich die Gefangenen. Während er versuchte, in Richtung Luke zu gelangen, schoben die brüllenden Sergeanten immer noch mehr Gefangene hinein.
»Vorrücken, verdammt noch mal! Hier ist noch Platz für zehn Leute!«
Diejenigen, die drinnen waren, protestierten. Fehlte nur noch, dass sie auch noch die zehn Pferde hier unterstellten! Doch schon drängten die nächsten Männer herein, als ginge es nicht nach Spanien, sondern ins Gelobte Land. Harry spürte schon jetzt die Läuse, die er sich unterwegs einfangen würde.
»In dem Wagen ist zu viel Gepäck!«, schrie ein rotgesichtiger Leutnant.
»Wir brauchen mehr Waggons!«, schrie jemand zurück.
»Die haben wir aber nicht! Los, die Hälfte Gepäck muss raus!«
Unter den Gefangenen erhob sich empörtes Geschrei. Jeder hatte nur das Notwendigste dabei, aber selbst das Notwendigste war zu viel. Auch Harry musste sich entscheiden. In den zwei Koffern war sein ganzer Besitz. In dem einen waren drei Anzüge und ein Paar Stiefel, in dem anderen seine Malutensilien. Er hatte die Wahl zwischen Pest und Cholera. Einer der Anzüge war sein Lieblingsanzug, er hatte ihn bei Harrod’s in London maßschneidern lassen, ein sündhaft teures Stück aus reinem Kaschmir.
»Aber das sind doch nur leere Käseschachteln«, sagte Erich Hirngiebel, als Harry sich für das Malzeug entschied.
»Ich weiß, Herr Professor, Sie sind Protestant. Aber wir Katholiken glauben nun mal an die heilige Wandlung.«
»Bitte verzeihen Sie meine Begriffsstutzigkeit.«
»Ein Anzug ist immer ein Anzug. Aber aus einer Käseschachtel kann ich machen, was ich will. Ich brauche nur Pinsel und Farben.«
»So sehr lieben Sie Ihre Frau?«, fragte der Professor.
Harry hätte nicht gedacht, dass ausgerechnet ein Theologe ihn jemals so gut verstehen würde. Die Tübinger Doktorandin musste hervorragende Arbeit geleistet habe n – summa cum
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