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Himmelsdiebe

Himmelsdiebe

Titel: Himmelsdiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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laude ! Schweren Herzens warf er seinen Kleiderkoffer hinaus. Wer würde seinen Anzug wohl kriegen? Draußen irrten zwischen den Geleisen immer noch ein paar Lagerinsassen umher. Die armen Schweine hatten offenbar nirgendwo Platz gefunden.
    »Warum fahren wir nicht endlich los?«
    »Ja! Worauf warten wir? Die Deutschen sind schon hinter Lyon!«
    Während unter dem Gefluche der Männer die letzten Gepäckstücke ins Freie flogen, kletterten zwei Wachsoldaten aus den französischen Kolonien in den Waggo n – zwei Algerier oder Tunesier, die mit ihren Turbanen aussahen, als wären sie einer Operette entsprungen. Plötzlich ging ein Rucken durch den Waggon. Die Araber schlossen die Wagentür, ein Pfiff, und endlich setzte sich der Zug in Bewegung.
    »Gott sei gelobt und gedankt«, seufzte Professor Hirngiebel.
    Harry trat an die Luke und schaute noch einmal auf die Ziegelei zurück, in der er ein halbes Jahr seines Lebens damit verbracht hatte, Ziegel zu schleppen und Schlange zu stehen. Ratternd fuhr der Zug an dem Fabrikgelände vorbei. Am Tor standen ein paar Offiziere und Colonel Jospin. Der Kommandant sah müde aus, aschfahl war sein Gesicht. Mit der behandschuhten Rechten winkte er den Gefangenen nach.
    War er froh, dass er sie los war? Oder hatte er ein schlechtes Gewissen?
    Hinter ihm, an einer geschlossenen Schranke, drängten sich die Männer, die freiwillig im Lager zurückgeblieben waren. Die Nazis, die nichts von den Deutschen zu fürchten hatten.
    Harry beugte sich vor. Wo war Waluschek? Er erkannte nur Stenz Weigand und Wilfried Kümmerich, den Metzgermeister aus dem Sauerland und den Tierstimmenimitator aus Leipzig.
    Auf einmal sah er den Wiener. Mit beiden Armen drängte er Colonel Jospin beiseite und reckte drohend eine Faust in den Himmel. Harry hörte sogar seine Stimme, der Akzent war unverkennbar.
    »Freut euch ja nicht zu früh, ihr Kommunistenschweine! Wir kriegen euch noch!«
    Harry kehrte seinen Rücken zur Luke und zog sich die Hose runter.
    Sein nackter Arsch sollte das Letzte sein, was die Nazis von ihm zu Gesicht bekamen.
    2
    »Was sind das für Särge?«, fragte Laura.
    »Särge?«, erwiderte Geraldine. »Wovon redest du?«
    »Am Straßenrand. Siehst du sie nicht? Überall stehen welche rum.«
    »Du spinnst ja. Ich sehe keine Särge.«
    Geraldine trat die Kupplung und schaltete in den nächsten Gang. Laura kurbelte das Fenster herunter. Die Hitze in dem kleinen Fiat war noch unerträglicher als der Staub, der von draußen hereindrang. Wie ein endloses graubraunes Band zog die Landschaft an ihnen vorbei. Mit Harrys Pass, den sie seit ihrem Aufbruch in Sainte-Odile nicht aus der Hand gelegt hatte, fächelte sie sich Luft zu. Wie lange waren sie schon unterwegs? Eine Stunde? Zwei Tage? Immer nur Staub und Kurven und Felder, die verbrannt waren von der Sonne.
    »Warum sagst du, dass du sie nicht siehst?«
    »Was soll ich nicht sehen?«
    »Die Särge!«
    »Natürlich sehe ich keine Särge! Weil da keine Särge sind, Herrgott noch mal! Sperr doch die Augen auf! Da sind nur Bäume und ein paar Kühe!«
    »Und was ist mit den Ziegen?«
    »Okay, okay, die Ziegen habe ich vergessen. Ziegen sind da. Aber keine Särge! Hör endlich auf mit dem Quatsch!«
    Laura schloss die Augen. Bildete sie sich die Särge nur ein? So wie sie sich eingebildet hatte, Harry wäre zu ihr zurückgekommen?
    Zum Glück war Geraldine bei ihr. Geraldine war vernünftig. Sie würde ihr helfen.
    Als sie die Augen aufschlug, waren die Särge immer noch da.
    »Ich weiß, warum du mich anlügst«, sagte sie. »Du willst, dass ich mich nicht aufrege.«
    »Allerdings«, erwiderte Geraldine. »Das wäre ein Anfang.«
    »Aber du brauchst mich nicht zu belügen. Ich kann die Wahrheit vertragen. Vielleicht besser als du.«
    »Welche Wahrheit?«
    »Frag nicht so blöd. Die Särge natürlich.«
    Geraldine antwortete nicht, stattdessen warf sie ihr nur ihren Gouvernantenblick zu und steuerte wortlos in eine Kurve. Laura musste husten, sie konnte kaum atmen vor Staub. Obwohl ihr der Schweiß nur so vom Leib strömte, kurbelte sie das Fenster wieder hoch.
    Würden sie jemals irgendwo ankommen?
    Als sie die Kurve passierten, tuckerte ein alter, verrosteter Lastwagen vor ihnen die Straße entlang. Von der Ladefläche hingen leblose Arme und Beine herab. Ohne das Tempo zu verringern, fuhr Geraldine schnurgerade auf den Lastwagen zu.
    »Willst du uns umbringen?«, rief Laura.
    »Keine Angst«, sagte Geraldine. »Die Straße ist breit

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