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Himmelsdiebe

Himmelsdiebe

Titel: Himmelsdiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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Sonnenschein und wirkte sehr freundlich und einladend. Außer dem Stacheldraht, der die Wiese umzäunte, erinnerte nichts an Gefangenschaft.
    »Ich finde, hier lässt sich’s aushalten«, sagte der dicke Holländer, der zusammen mit ihnen entlaust worden war. »Meinen Sie nicht auch, meine Herren?«
    Harry pflückte ein paar Maulbeeren und steckte sie sich in den Mund. Auch wenn er den Holländer nicht ausstehen konnt e – verglichen mit der Ziegelei von Les Milles war ihr neues Lager ein Paradies. Ein bisschen fühlte er sich, als wäre er in die Heimat zurückgekehrt. Der Atlantik mit seiner scheußlichen Kälte lag weit hinter ihm, jenseits der Pyrenäen. Er war wieder an seinem Meer, am Mittelmeer. Dunkelblau glänzte es in der Ferne, mit weißen Schaumkrönchen verziert und gesäumt von Pinienwäldern und Weinbergen. Gab es irgendwo auf der Welt eine schönere Gegend? Während der Saft der Beeren ihm von den Lippen troff, konnte Harry sich kaum vorstellen, dass er gestern noch in Bayonne um sein Leben gefürchtet hatte. Bei dem Befehl, in den Zug zurückzukehren, war Panik ausgebrochen, die Soldaten hatten wahllos um sich geschossen, und Hunderte von Gefangenen waren Hals über Kopf vom Bahnhofsgelände gestürmt, egal, welches Schicksal ihnen blühte.
    »Der Krieg ist aus! Der Krieg ist aus!«
    Machte da jemand Witze? Harry beschattete mit der Hand seine Augen. Vom Hof kam Siegfried Cohen herbeigerannt, wegen der Glatze erkannte Harry ihn erst auf den zweiten Blick. Der Student winkte mit einer Zeitung. Die Titelseite war schwarz umrandet.
    »Die Franzosen haben kapituliert!«, sagte Siegfried Cohen, ganz außer Atem. »Waffenstillstand!«
    »Geben Sie her!«
    Harry riss ihm die Zeitung aus der Hand. Tatsächlich! Maréchal Pétain, der Chef der Vichy-Regierung, hatte sich ergeben. Neben dem Artikel war eine Karte abgedruckt, die das neue Frankreich zeigte. Das schraffierte Gebiet im Nordosten war von den Nazis besetzt, der weiß eingezeichnete Süden würde von der Besatzung frei bleiben.
    Und Nîmes lag in der freien Zone!
    Harry fühlte sich wie ein Kind an Heiligabend. War der Wahnsinn vorbei? Konnte er zu Laura zurück? Zum Glück hatte er in Bayonne kühlen Kopf bewahrt, statt sich von der Panik seiner Kameraden anstecken zu lassen.
    »Ihr Chef ist besser, als ich dachte«, sagte er und grinste Erich Hirngiebel an, der ihm über die Schulter blickte.
    Als er das Gesicht des Professors sah, wurde er blass.
    »Ich fürchte, Sie haben den Artikel nicht zu Ende studiert.« Erich Hirngiebel tippte mit dem Finger auf den letzten Absatz. »Hie r – Paragraf 19 der Waffenstillstandsbedingungen.«
    Mit den Augen überflog Harry den Paragrafen. Nachdem er die letzte Zeile gelesen hatte, zitterten ihm die Knie.
    Paragraf 19 bestand nur aus einem einzigen Satz. Darin verpflichtete sich die französische Regierung, alle deutschen Staatsbürger, die die Nazis verlangten, unverzüglich an das Deutsche Reich auszuliefern.
    9
    Harry bog den Stacheldraht in die Höhe und kroch unter dem Zaun hindurch ins Freie. Kein Mensch nahm Anstoß daran, wenn ein Gefangener das Lager verließ, um einen Spaziergang zu machen. Gleichgültig schauten zwei Wachsoldaten zu, wie er den Feldweg hinauflief und allmählich aus ihrem Blickfeld verschwand. Seit dem Waffenstillstand hatten die Franzosen jegliches Interesse an ihren Schützlingen verloren. Manche Gefangene machten sogar Ausflüge nach Nîmes, um mal wieder in einem Café zu sitzen oder sich mit Lebensmitteln zu versorgen.
    An einem Bach ließ Harry sich nieder und packte sein Malzeug aus. Eigentlich war es gleichgültig, wo er malte, er malte ja sowieso immer dasselbe Motiv. Während er mit dem Bleistift Lauras Gesicht skizzierte, plätscherte zu seinen Füßen der Bach. Wochenlang war er eingesperrt gewesen, jetzt war er zum ersten Mal wieder in Freiheit, unter offenem Himmel, und rings um ihn her war nichts als ein plätschernder Bach, hügelige Wiesen, blau verdämmernde Pinienwälder und wunderbar reine Bergluft.
    Mit einem Seufzer schaute er von seiner Zeichnung auf. Durfte er hier bleiben? Oder war es verbrecherischer Leichtsinn, in der Obhut der Franzosen zu warten, bis die Nazis ihn holten? Als entarteter Künstler stand er auf der Liste der Deutschen, die die Nazis von den Franzosen zur Auslieferung begehrten, sicherlich sehr weit oben.
    Unentschlossen beugte er sich wieder über sein Bild. In seinem ganzen Leben hatte er es gehasst, Entscheidungen zu treffen. Und

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