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Himmelsdiebe

Himmelsdiebe

Titel: Himmelsdiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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sind?«
    »So? Finden Sie?«
    »Allerdings«, sagte der Professor. »Es gibt für einen Menschen kein größeres Glück, als einen anderen Menschen zu lieben. Und Ihre Liebe spürt man in jedem Pinselstrich. Aber bitte entschuldigen Sie mich. Ich möchte jetzt mein Morgengebet sprechen.«
    Er faltete die Hände, und während sein Blick ins Leere ging, bewegten sich stumm seine Lippen. Harry wandte sich ab. Er beneidete den Professor um seinen Glaube n – fast so sehr wie die Durchfallkranken um ihren exklusiven Abort. Wenn Erich Hirngiebel nicht mehr weiterwusste, fand er Zuflucht bei Gott. Harry hingegen wusste nicht einmal, was er hoffen sollte. Sollte er hoffen, dass Laura noch in ihrem Zauberhaus war? Ihm selbst hatten die Schutzgötter wenig geholfen, und wenn er sich vorstellte, die Deutschen stürmten den Weinberg hinauf, um in ihr Haus einzudringe n … Er blickte auf ihr Bild in seiner Hand. Die Angst, die er in ihren schwarzen Augen las, war so groß wie seine eigene, und er verbot sich, den Gedanken zu Ende zu denken. Vielleicht hatte sie Sainte-Odile ja inzwischen verlassen. Aber was war dann? Wenn sie geflohen wa r – wo sollte er sie suchen? Er hatte die Flüchtlinge auf der Landstraße gesehen, ein heilloses Chaos, in dem ein einzelner Mensch verloren ging wie eine Stecknadel im Heuhaufe n … Er konnte nur hoffen, dass Lulu sich um Laura kümmerte. Lulu kannte sich aus im Leben, und darauf kam es jetzt an.
    »Wären wir doch nur im Lager geblieben«, klagte Siegfried Cohen.
    Der dickliche Holländer drehte sich auf seinem Klappstuhl herum und zeigte auf Harry und Erich Hirngiebel.
    »Das haben wir den beiden Klugscheißern zu verdanken! Sie haben den Kommandanten ja regelrecht angefleht, das Lager aufzulösen und uns zum Teufel zu jagen.«
    Der Professor unterbrach sein Gebet. »Wir haben nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt«, erklärte er. »Aber am Ende sind wir auch nur fehlbare Menschen.«
    »Das hätten Sie sich früher überlegen sollen.«
    »Sie sind aus freien Stücken mit uns aus Ägypten geflohen. Aber jetzt sehnen Sie sich nach den Fleischtöpfen dort zurück und geben uns die Schuld.«
    »Ihnen mache ich ja gar keinen Vorwurf. Der Herr Künstler war der Anstifter! Weil er so furchtbar schlau ist!«
    Harry spürte ein Kribbeln in der Nase. Hatte der Holländer vielleicht recht? Was sollten sie in Spanien? Von Les Milles bis Sainte-Odile waren es nur hundert Kilomete r … Der Lokomotivführer ersparte ihm die Antwort. Der Zug hielt mit einem so scharfen Ruck an, dass der Holländer von seinem Klappstuhl kippte.
    6
    Die Soldaten schoben die Waggontür auf. Der Zug stand in einem Bahnhof.
    »Alles aussteigen. Hopp, hopp!«
    Endlich! Obwohl seine Glieder ganz steif waren, beeilte Harry sich, ins Freie zu gelangen. Der Regen hatte inzwischen aufgehört, doch es war mindestens zehn Grad kälter als bei ihrer letzten Station. Schnuppernd sog er die Luft ein. Nein, er hatte sich nicht getäuscht, das Meer war nicht weit. Kalt, wie es war, musste es der Atlantik sein, ganz in der Nähe.
    »Wir sind in Bayonne«, sagte Professor Hirngiebel. »Ich war einmal mit meiner Frau hier. Auf unserer Hochzeitsreise.«
    »Dann kennen Sie sich ja hier aus. Erinnern Sie sich noch, wo die Toiletten sind?«
    Harry war nicht der Einzige, der sein Wasser abschlagen musste. Hunderte von Männern standen bereits an den Geleisen, um sich zu erleichtern. Ungeduldig knöpfte er den Hosenstall auf. Der Druck war kaum noch auszuhalten.
    »Ich weiß nicht, was schöner ist«, sagte sein Nebenmann. »Vögeln oder strullen.«
    Harry hatte den Mann noch nie gesehen, die roten Haare wären ihm aufgefallen, aber er sprach ihm aus dem Herzen. Während er in den grauen Himmel schaute, vor dem sich in der Ferne die Doppeltürme einer Kathedrale erhoben, spekulierten seine Kameraden links und rechts über ihr Schicksal. Wie immer, wenn ein neuer Tag anbrach, schöpften sie Hoffnung. Die meisten spekulierten, dass ihre Zugfahrt ein Ende hatte, und glaubten an eine Evakuierung per Schiff. Warum sonst sollte man sie ans Meer gebracht haben?
    Der plötzlich aufflackernde Optimismus war so ansteckend wie Harndrang.
    »Eins steht fest«, sagte der Rothaarige. »In den Zug kriegen mich keine zehn Pferde mehr zurück.«
    »Mich auch nicht«, pflichtete Siegfried Cohen ihm bei. »Eher esse ich Schweinefleisch.«
    »Was meinen Sie, lieber Herr Winter?«, fragte Professor Hirngiebel. »Glauben Sie auch, dass wir endlich erlöst

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