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Himmelsfern

Himmelsfern

Titel: Himmelsfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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Marlon biss die Zähne zusammen. Auf Corbins Schläfen bildete sich Schweiß. Ich wusste nicht genau, was hier vor sich ging, aber es wirkte wie eine altmodische Strafmaßnahme. Wie eine rituelle Folterung.
    Â»Lass das, du Grobian!«, fuhr ich Corbin an, versetzte ihm einen Stoß und nahm ihm das Tuch ab. Es war immer noch so heiß, dass ich es kaum anfassen konnte.
    Â»Ist schon gut.« Marlon wiederholte meine Worte von eben. Aber er irrte sich, im Gegensatz zu mir. Gar nichts war gut. Skeptisch betrachtete ich die Schusswunde. Es schien sich um einen Streifschuss zu handeln und sie blutete auch nicht mehr so stark.
    Â»Ist nur ein Kratzer«, sagte Corbin seltsam gedehnt, als würde er die Tatsache, dass Marlon verletzt war, genießen. »Mach Jod drauf, das wird reichen.«
    Ich wurde nicht schlau aus Corbin. War ihm sein Bruder egal? Dass er keinen Meter hinter mir mit verschränkten Armen an die Küchenzeile gelehnt stand, gefiel mir nicht. Seine Anwesenheit brachte die Härchen in meinem Nacken dazu, sich aufzurichten. Die Aussicht, Marlon verarzten zu müssen, obwohl ich keinerlei Ahnung von Erster Hilfe hatte, machte das nicht besser. Aber Marlons linke Hand bebte noch zu sehr, als dass er das Fläschchen hätte aufdrehen können, also tat ich das und kippte den rotbraunen Inhalt in Ermangelung einer Kompresse kurzerhand auf eins der Küchenhandtücher. Ich hoffte, dass Sterilität im Allgemeinen überbewertet wurde, reichte es ihm und wandte das Gesicht ab, als er es sich auf die Wunde legte. Aus dem Augenwinkel sah ich ihn erschaudern. Das Jod musste brennen, aber er gab keinen Laut von sich.
    Ich drehte mich zu Corbin um. »Im Auto müsste ein Verbandskasten sein, oder?«
    Â»Vermutlich.«
    Â»Der wäre uns nützlich.«
    Â»Bestimmt.«
    Ich seufzte. »Kannst du ihn holen?«
    Corbin grinste ohne einen Funken Freundlichkeit. »Natürlich. Wenn du mich darum bittest.«
    Ich verstand nichts von diesen Machtspielchen, die man hier offenbar für normal hielt, sie machten mich ganz krank. »Bitte«, fauchte ich und versuchte gar nicht erst, höflich zu klingen.
    Er neigte den Kopf in einer spöttischen Geste, verließ aber tatsächlich die Wohnung. Ich bezweifelte, dass er mit dem Verbandszeug zurückkommen würde.
    Â»Nimm es ihm nicht krumm«, bat Marlon. Langsam kehrte die Farbe in sein Gesicht und die Melodie in seine Stimme zurück. »Er hält sich deinetwegen sehr zurück.«
    Wenn das Zurückhaltung war, wollte ich den Kerl nie und nimmer unbeherrscht erleben.
    Â»Das tut er wirklich, Noa. Weißt du, was er mir eben zugeflüstert hat? Dass ich froh sein kann, dich mitgebracht zu haben, sonst hätte ich meine Zähne vom Boden aufsammeln dürfen, Schusswunde hin oder her. Er ist unsagbar wütend auf mich, weil ich dich in Gefahr gebracht habe. Weil du wegen mir fast–«
    Â»Mir ist nichts passiert«, unterbrach ich ihn hastig. »Im Gegensatz zu dir. Interessiert das deinen feinen Herrn Bruder denn gar nicht? Ich hatte den Eindruck, dass er dich bestrafen wollte.« Mein Blick fiel auf das rot verfärbte Tuch, mit dem Corbin so rabiat umgegangen war. Völlig unnötigerweise.
    Marlon senkte den Kopf. »Uns beide und ebenso sich selbst. Das Mädchen auf dem Foto, Corbins Freundin, ist tot, das habe ich dir ja erzählt. Was ich dir nicht gesagt habe, ist, wie sie gestorben ist.« Er schloss die Augen, bevor er weitersprach. »Die Huntsmen haben sie getötet, weil sie dachten, sie wäre eine von uns.«
    Meine Knie gaben nach, ich ließ mich schwerfällig auf den Küchenboden rutschen.
    Â»Die Schuld an ihrem Tod zerfrisst ihn«, sagte Marlon noch, dann hörten wir, wie der Schlüssel in der Haustür umgedreht wurde. Corbin kam zurück und legte einen Erste-Hilfe-Kasten auf den Küchentisch.
    Â»Danke«, murmelte ich.
    Er nickte mir zu. Marlon bekam einen freundschaftlichen Schlag gegen die gesunde Schulter, dann verließ Corbin kopfschüttelnd die Küche. Schwer zu sagen, ob seine Miene abfällig, erleichtert, wütend oder dankbar aussah. Vielleicht ein bisschen von allem. Auf jeden Fall erkannte ich, dass er Marlon sehr lieben musste, zugegeben, auf eine sehr eigenwillige Weise.
    Marlon und ich mühten uns gemeinsam mit dem Verbandszeug ab, doch schließlich gelang uns ein passables Ergebnis. Ich kochte Tee, mit dem

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