Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Himmelsfern

Himmelsfern

Titel: Himmelsfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
Vom Netzwerk:
fiel, überschlug sich und rollte durchs Laub.
    Â»Steh auf!«, kreischte ich ihn an, zerrte an seinem T-Shirt, sodass der Saum an der Seite aufriss. Er kam auf die Füße, fluchte atemlos. Einer unserer Verfolger brüllte etwas, das ich nicht verstand. Wir rannten weiter. Als ich gerade glaubte, dass wir uns verlaufen hatten und wie gehetzte Tiere planlos durch den Wald flohen und ein gutes Ziel abgaben und bald keine Kraft mehr hätten und niemals entkommen würden und verloren waren und am Arsch und eigentlich schon tot … da schimmerte die Straße zwischen den Bäumen hindurch. Wir brachen durch eine letzte dornige Hecke, stürzten durch einen Graben, in dem etwas Wasser stand und dessen Hänge von Brennnesseln überwuchert waren, und sahen das Auto. Ob wir schnell genug gewesen waren oder sie uns auf der Straße, wo Zeugen drohten, nicht mehr verfolgten, wusste ich nicht. Es war mir egal. Wir erreichten den Wagen, warfen uns in die Sitze und Marlon jagte mit kreischenden Reifen los.
    Er fuhr. Ich zitterte. Er fingerte an der Heizung herum. Ich rieb meine Oberarme. Er murmelte: »Scheiße, Scheiße, war das knapp.« Ich starrte aus dem Beifahrerfenster und dachte: Ja, ja, ja. Knapp.
    Irgendwann fuhr er rechts ran, taumelte aus dem Wagen und übergab sich am Straßenrand. Erst als er zurückkam, erkannte ich den Grund.
    Seine linke Schulter war rot verschmiert. Blut. Es rann ihm über den Arm. Tropfte von seinen Fingern. Bildete Flecken auf dem Asphalt.
    Diese Drecksschweine! Die hatten ihn getroffen.

 

    Wie leicht Vertrauen bricht
    Wir fuhren den Wagen zu zweit nach Hause: Marlon übernahm Gas, Bremse und Kupplung. Ich lenkte und schaltete vom Beifahrersitz aus, während er die rechte Handfläche gegen die Wunde am Oberarm presste. Seine linke Hand lag kraftlos in seinem Schoß. Die Finger zuckten. Er fror.
    Ich kämpfte gegen das Heulen an. Am liebsten wäre ich zum nächsten Krankenhaus gefahren und hätte die Verantwortung für Marlons Verletzung in die Hände von Ärzten und die Angst vor diesen Irren, die auf uns geschossen hatten, in die der Polizei gelegt.
    Marlon sagte nicht mehr als »Nein!« zu meinem zaghaften Versuch, ihn davon zu überzeugen. Ich hatte keine Kraft, um mit ihm zu diskutieren.
    Wir fuhren zum Drachenhaus und schleppten uns die Treppen hoch in die Küche. Corbin stand am Waschbecken und spülte. Als sein Blick auf mein vermutlich schneeweißes Gesicht und Marlons blutbesudelte Schulter fiel, hielt er in der Bewegung inne. Er wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. Schaum blieb an seinem Haaransatz kleben. Er trocknete sich erst die eine und dann die andere Hand sehr sorgfältig an seinem T-Shirt ab und verschränkte die Arme. Seine Oberlippe zuckte so arrogant, dass ich ihn gerne geohrfeigt hätte.
    Â»Huntsmen?«
    Marlon ließ sich auf einen Stuhl fallen und nickte.
    Â»War sie dabei?« Corbin deutete auf mich.
    Â»Ja«, antwortete ich, aber er ignorierte mich und starrte Marlon an, bis dieser erneut schwach nickte.
    Corbin trat näher und flüsterte Marlon etwas ins Ohr. Er musterte die Wunde, wirkte fast neugierig. »Tut’s weh?«
    Marlon zuckte mit der gesunden Schulter. »Nicht mehr. Ist nur kalt.«
    Â»Das ändert sich gleich«, meinte Corbin gelassen, ging zu einem Schrank und zog saubere Geschirrtücher heraus. Aus einer Schublade nahm er ein Fläschchen. Er stellte alles vor Marlon auf den Tisch und wandte sich wieder dem Spülbecken zu, wo er eins der Tücher mit heißem Wasser tränkte. Wie konnte er derart kühl bleiben, wenn sein Bruder soeben angeschossen worden war?
    Marlon zog sich vor Schmerz stöhnend die Überreste seines T-Shirts über den Kopf. »Es tut mir leid«, murmelte er mir zu. Seine rechte Hand tastete nach meiner, doch dann zog er sie wieder zurück. »Das hätte nicht passieren dürfen. Ich hätte dich nicht mitnehmen sollen.«
    Â»Ist gut«, gab ich zurück, woraufhin Corbin uns so ätzend anlächelte, als wollte er uns beide mit diesem Grinsen verletzen wie mit Säure.
    Er klatschte Marlon das dampfende Tuch gegen die Schulter, presste es auf die Wunde, bis Marlon keuchte und die Augen verdrehte. Aber er wich nicht zurück, nicht einmal, als Corbin begann, die Wunde abzureiben, als wäre all das Blut nur Schmutz, den man mit genug Druck schon abbekommen würde.

Weitere Kostenlose Bücher