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Himmelsfern

Himmelsfern

Titel: Himmelsfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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klar sein.«
    Â»Okay.« Interessante Logik, aber okay.
    Â»Ich kann meine Gedanken mittels Steinen an Menschen weitergeben. Die Steine werfen meine Worte sozusagen in den Kopf der Menschen. Echo der Steine, so nennen wir es. Ich konnte das schon immer. Menschen hören mich, wenn ich es will und ausreichend Steine vorhanden sind, über die ich sprechen kann. Tief da drin.« Er berührte erst die Mauer in unserem Rücken und dann meine Stirn. Hinter seinen Fingerspitzen prickelte es in meinem Kopf. Er verzog das Gesicht zu einem verzweifelten Lächeln. »Ich habe versucht, dich davon abzuhalten, in die Bahn zu steigen, aber du hast mir nicht geglaubt. Und dann musste ich –«
    Â»Die Frau mit dem Baby warnen.« Ein mechanischer Einwurf, da das Bild der jungen Mutter vor meinen Augen aufflackerte.
    Â»Ja. Ich habe versucht, sie alle zu warnen. Ich hatte gedacht, es würde mir gelingen, denn sie haben mich alle wahrgenommen – das weiß ich. Aber die Menschen hören nicht immer auf das, was sie für Intuition halten. Es war zu spät, um zu verhindern, dass die Bahn anfuhr. Sie raste los und ich hinterher.«
    Â»Oh Gott.« Ich erwartete, ohnmächtig zu werden, als mir bewusst wurde, was Marlon mir mitteilen wollte. Doch nichts passierte. Alles war leer, kalt und starr.
    Â»Was habt ihr getan?«
    Ich konnte mich im Nachhinein nicht mehr daran erinnern, was Marlon genau gesagt und wie er es gesagt hatte. Es war, als hätte er mir die Information direkt ins Gehirn platziert. Klar und verständlich. Durchschaubar und kalt wie aus Glas. Ohne eine Gefühlsregung. Ich wusste einfach, was geschehen war.
    Die Huntsmen waren auf Vorsicht gedrillt. Sie agierten selten gemeinsam, schlossen sich allenfalls kurzfristig zu kleinen Gruppen zusammen, die sich rasch wieder zerstreuten, damit ihnen ein möglicher Angriff nur geringen Schaden zufügen konnte. Die Ausnahme war eine regelmäßige Zusammenkunft, bei der sie Neuigkeiten und Beweismittel austauschten. Emma, die immer noch akut verfolgt und gejagt wurde und außerdem durch den Mord an ihren Eltern von Hass zerfressen war, arbeitete an vorderster Front gegen sie. Im Gegensatz zu Corbin und Marlon suchte sie die Nähe der Jäger. Beobachtete. Plante. Griff an. Und wurde selbst immer wieder gejagt. Sie fand heraus, dass die Treffen in dieser Stadt während einer U-Bahn-Fahrt stattfanden. Wöchentlich, jeden Freitag in der U7, Abfahrt 15   :   06   Uhr am Marktplatz. Diese Bahn war zu der Zeit selten voll und die Jäger hatten das letzte Abteil meistens für sich allein, weil man durch den kurzen Bahnsteig nicht direkt in dieses einsteigen konnte. Das war der erste Fehler, der den Huntsmen unterlief.
    Corbin und Emma zerstörten das Gleis. Marlon war mit seiner Gabe dafür verantwortlich, die unschuldigen Menschen aus der Bahn zu locken. Möglichst viele, bestenfalls alle.
    Die drei wollten die Huntsmen mit einem Überraschungsangriff überwältigen, um den Zirkel zu zerschlagen.
    Doch ihre eigenen Pläne waren es, die zerschlagen wurden.
    Marlon versagte. Durch den Schock, zu wenig Menschen erreicht und gerettet zu haben, kam er zu spät zum Angriff. Emma und Corbin gelang es, einen einzigen Jäger zu töten, dann wurden sie zur Flucht getrieben. Dass das Unglück ein weiteres Leben gekostet hatte – das eines Unschuldigen –, erfuhren sie am nächsten Tag aus der Presse.
    So sei er, der Krieg, sagte Emma und Marlon kehrte tagelang nicht nach Hause zurück. Er betete um Verzeihung, suchte nach Zeichen, weinte im Regen. Und fand mich in dem Moment, als ich ihn zum ersten Mal bemerkte.
    Â»Darum gehst du zum Friedhof?«
    Marlon sah mich an, nachdem er die ganze Zeit zu Boden geblickt hatte. Zeit, die ich nicht mehr überschauen konnte. Die Uhr mochte von einigen Minuten reden, aber wie konnte das sein? Zwischen meinem Jetzt und meiner Vergangenheit in Ahnungslosigkeit lag ein Leben. Ein Menschenleben.
    Â»Du warst wie die Rache des Schicksals«, flüsterte Marlon. »Ich habe in dieser Löwenstatue nach einem Hinweis gesucht, konnte etwas spüren, aber es entzog sich mir. Als ich die Augen öffnete, sah ich dich. War mir nicht sicher, was du warst. Jemand, den ich um Vergebung bitten konnte? Oder jemand, der rächen würde, was ich getan hatte? Ich bin dir gefolgt. Damals habe ich mir gewünscht, du wärst eine von den Huntsmen und

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