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Himmelsfern

Himmelsfern

Titel: Himmelsfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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– oder wie auch immer man es nennen wollte –, in den Stein sang.
    Er trat zurück, blickte die Statue skeptisch an. »Ich habe ihr gesagt, dass ich nicht ihr Sohn bin, aber ihre Hilfe brauche, um –«
    Im gleichen Moment schlug die Steinfrau die Lider auf. Sie sah Marlon aus leeren Augen an und blinzelte langsam. Das Schaben, mit dem ihre Lider über die Augäpfel schleiften, jagte mir einen eiskalten Schauer über den Rücken. Erneut bewegten sich ihre rissigen Lippen, Staub krümelte über ihr Kinn.
    Â»Nicht … mein … Sohn?«, fragte sie knirschend. Ich hätte mir fast die Ohren zugehalten, so grausam kalt war der Klang. Wie raue Felsen, die man aneinanderrieb und damit Töne erzeugte, die zu Worten wurden.
    Â»Nein, tut mir leid«, antwortete Marlon. »Stephan hat Ihre Botschaft nicht vernommen. Er hört die Steine nicht singen.«
    Â»Was sagst du da?« Sie klang verärgert. »Er hört. Er ist wie wir.«
    Â»Eine Harpyie? Sie irren sich.« Marlon senkte den Kopf. »Er war ein Mensch wie sein Vater und nun ist er noch mehr. Ihr Sohn ist ein Jäger. Ein Huntsman.«
    Â»Jäger?«, kreischte das Wesen. Nun konnte ich nicht mehr anders, ich hielt mir die Ohren zu.
    Â»Der Vater Ihres Sohnes war keiner von uns, nicht wahr?«
    Unter Krachen und Knirschen und dem Abbröckeln kleiner Steine schüttelte die Steinfrau den Kopf.
    Â»Das erklärt alles. Es ist selten, dass aus der Verbindung von Mensch und unsereins ein Kind hervorgeht. Und noch seltener wird das Kind eine Harpyie. Ihr Mann« – die Frau wich bei diesem Wort einen Zentimeter zurück – »hat das Kind den Huntsmen gegeben. Darum konnten Sie ihn nicht finden.«
    Ich wusste nicht, ob es klug war, der Steinfrau all das zu erzählen, solange wir auf ihre Hilfe angewiesen waren. Es schien in der steinernen Halle immer kälter zu werden. Nun bildete sich ein kleiner Riss in ihrem linken Auge. Ein Tropfen Wasser rann daraus hervor und lief über ihre Wange.
    Oh Gott, sie weinte. Ich krallte meine Hände ineinander und schluckte gegen die Beklemmung an.
    Plötzlich bewegte sich die Statue sehr schnell. Weder abrupt noch hastig, nur sehr schnell und fließend. Sie ergriff Marlon mit ihren steinernen Händen und zog ihn an sich.
    Ich verschluckte einen Schrei und versuchte, ihre Finger von seinen Schultern zu lösen, aber eher hätte ich Granit zerbrechen können. Da Marlon ruhig blieb, gab ich auf und beherrschte mich. Ihre Lippen bewegten sich, seine ebenso. Marlon schloss die Augen. Obwohl es hier so kalt war, glänzte seine Stirn schweißfeucht. Die Steinfrau presste sich an seinen nackten Oberkörper, woraufhin mir ganz anders wurde. Konnte ein Stein begehren? So, wie ihre Hände über seine Brust glitten und blutige Schrammen hinterließen, war ich sicher, dass sie es konnte.
    Plötzlich versteifte Marlon sich, schlug die Augen auf und warf mir einen Blick zu, aus dem Panik schrie.
    Gott, sag mir, was ich tun soll, Marlon!
    Doch dann schloss er die Lider erneut und legte seine Hände um die Taille der Frau. Sie ließ von ihm ab, er kam zu mir und nahm meine Hand. Der Blick der Steinfrau lastete tonnenschwer auf mir, ich konnte kaum atmen, schmiegte mich an Marlon und berührte zart die Schrammen, die sie ihm zugefügt hatte.
    Â»Küss mich«, hauchte er in mein Ohr.
    Â»Was? Warum?«
    Â»Weil ich es will. Küss mich wie noch nie zuvor! Als ginge es um dein Leben.«
    Ich zögerte, aber sein Gesichtsausdruck bedeutete mir eindringlich, zu tun, was er sagte. Und so küsste ich ihn, erst ganz scheu, und als sich sein Puls beschleunigte und in meinem Körper widerhallte, heftiger. Ich küsste ihn, als säße mir der Teufel im Leib, und als Marlon den Kopf in den Nacken sinken ließ, küsste ich seinen Hals, sein Schlüsselbein und die Schulter, meine Hände in seinem Haar vergraben, damit er bei mir blieb.
    Â»Okay«, flüsterte er schließlich. Ich bemerkte, dass die Steinfrau sich abwandte und an den Platz zurücktrat, wo sie zuvor gestanden hatte.
    Â»Was hat sie mit dir gemacht?«, wisperte ich und konnte kaum aufhören, die Kratzwunden auf seiner Brust anzustarren.
    Â»Sie hat mir von ihrem Leben erzählt«, antwortete er ebenso leise. »Und dann sagte sie, dass sie mich zurückschicken würde. Ich fragte nach dir, aber sie verneinte, weil du kein

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