Himmelsfern
»Ich schlafe eine Nacht darüber, vielleicht lache ich morgen.« Er schloss die Augen, und entweder schlief er sofort ein, oder er schauspielerte sehr überzeugend.
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Vom Jagen
Es war Samstagabend und ich hatte so groÃe Angst wie noch nie in meinem Leben.
Es war eine Sache, ein Entführungsopfer zu sein. Eine andere, in mystische Zwischenwelten gezogen zu werden. Eine böse Sache. Pistolenkugeln um die Ohren gejagt zu bekommen war auch recht unerfreulich. Aber all das war nun eine Woche oder länger her und kam mir beinahe surreal vor und damit gleich viel weniger dramatisch. Hey, ich hatte es doch überlebt, oder?
Nichts, rein gar nichts, kommt an die Angst heran, die dich durchflieÃt, wenn du am Rand einer Bühne stehst und vierhundert Augenpaare auf dir spürst.
Lukas, der mit seiner Gitarre auf der anderen Seite tanzte, lief der Schweià in Strömen übers Gesicht. Sein Lampenfieber war längst überwunden, er beruhigte sich grundsätzlich während der ersten Songs. Die Show war bisher fantastisch gelaufen, das Publikum johlte und jubelte ihm zu. Es war kein Spaziergang gewesen. Lukas und die Death Ponys hatten alles geben müssen, um die skeptischen Leute in begeisterte Zuschauer zu verwandeln. Sie hatten mehr geschafft. Da unten standen nicht mehr bloà zufriedene Rockkonzertbesucher. Da standen Fans, die ihre Alben sammeln würden, wenn es denn welche gäbe. Lukas wusste das, dementsprechend euphorisch kündigte er den erfolgreichsten Titel der Death Ponys an. Iâm burning. Sie hatten damit einen Wettbewerb gewonnen, in Kürze würde man ihn auf CD kaufen können, statt ihn illegal aus dem Netz herunterladen zu müssen. Die Menge tobte.
Ich war so nervös, dass meine Hände beim Anzünden der Poi zitterten. Die Heads rauchten trotzig und begannen einfach nicht zu brennen. Bockige Biester! Tatjana, die Schlagzeugerin, die den Takt vorgab, warf mir einen ihrer gefürchteten Wirdâs-bald-Blicke zu. Ich brauchte zu lange. Verdammt.
Endlich, oh Gott, endlich standen die Heads in Flammen. Ich nickte Tatjana zu, sie drosch auf ihre Drums ein. Langsam trat ich, in auf die Musik abgestimmten Drehungen und mit schwingenden Poi, in die Mitte der Bühne. Die Hitze der Scheinwerfer schlug mir ins Gesicht. Nur nicht daran denken, wie viele Leute zusehen. Vor allem musste ich den Gedanken verdrängen, dass Dominic und Marlon zusahen. Vor Menschen, die mir wichtig waren, schwoll mein Lampenfieber grundsätzlich auf unerträgliche MaÃe an, weshalb Papa nicht mehr zu meinen Auftritten kam (oder sich zumindest nicht erwischen lieÃ). Ich schloss für ein paar einfache Formationen die Augen, konzentrierte mich auf die Musik und es lief besser. Lukas brüllte den ersten Refrain. Meine Swings wurden ausgreifender, schneller und gemäà meiner Choreografie baute ich anspruchsvollere Figuren ein. Ich lieà meine Drachen frei. Meine Ãngste nährten das Feuer und machten es lebendig, bis es mein Lampenfieber ergriff und verbrannte. Lukas legte seine Gitarre ab, bewegte sich auf mich zu, tanzte mich an, kam mir so nah, dass er die Hitze meiner Drachen spüren musste. Er brüllte mir den Text ins Gesicht, war so nah, dass ich die Poi um uns beide schwingen musste. So nah, dass wir uns berührten. Brust an Brust. Er sang, ich schottete uns mit dem Feuer von der AuÃenwelt ab. Es war sinnlich, auf eine Art, die man nur nachvollziehen kann, wenn man sich auf einer Bühne einmal ganz einer Show hingegeben hat. Nichts ist wichtig in diesem Augenblick. Nichts existiert mehr. Nur die Darbietung. Nur er und ich, Lukasâ Stimme und mein Feuer, ein paar Takte lang, die ewig schienen. Ein Crescendo aus Euphorie.
Lukas wandte sich ab, hob seine Gitarre auf und spielte das Solo am Rand der Bühne, während ich die schwierigsten Moves meiner Choreografie tanzte, für die ich meine ganze Konzentration benötigte. Ich machte keinen Fehler und trotzdem spürte ich, wie etwas schiefging. Einer meiner Drachen lieà mich im Stich, sein Feuer verlosch. Ging einfach aus. Das passiert, wenn man die Heads nicht lange genug im Petroleum lässt. Aber auch wenn man alles richtig macht, kann es hin und wieder vorkommen. Das Feuer hat seinen eigenen Willen. Es lässt sich kontrollieren und zähmen, aber nie versklaven. Ich fluchte leise, bemühte mich aber, die Show zu Ende zu bringen. Meine letzte Einlage, der
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