Himmelsfern
aus, was ich im Stillen dachte. »Corbin ist schon zwanzig und hat es bisher auch geschafft.«
»Corbin ist stärker, schau ihn doch an«, rief Ebony. »Marlon übersteht kein weiteres Jahr. Corbin, bring ihn zur Vernunft.«
»Er kennt meine Einstellung«, erwiderte Corbin und starrte weiterhin auf den Tisch. »Aber seine Entscheidung muss er selbst treffen.«
Erstaunt sah ich zu ihm. So viel Verständnis hatte ich ihm nicht zugetraut.
Ebonys Kopf ruckte zu mir herum und ich machte unweigerlich einen Schritt zurück. »Die ist es«, zischte sie mich an. »Sie vernichtet ihn! Trifft sich mit den Jägern und lockt ihn in sein Verderben.«
Sie konnte mir viel vorwerfen. Aber das nicht.
»Bullshit! Du kennst mich nicht, also behaupte nicht so einen Mist!«
Ihre Augen schienen zu glühen. »Sie klammert sich an ihn. Hält ihn am Boden. Im Dreck!«
»Nein, ich â«
Marlon fiel mir ins Wort. »So redest du nicht mit Noa! Reià dich zusammen.«
Ebony sprang auf, ihr Stuhl krachte zu Boden. »Du verrätst deine Familie, Marlon! Für was? Für einen Menschen?« Sie spuckte ein abfälliges Lachen aus. »Wir brauchen keine Menschen. Die sind nur Spielzeug für uns. Nur Dreck!«
Ich schauderte angesichts ihrer Worte. Stephan Olivier hatte dieselben gewählt.
Corbin lieà den Kopf hängen, Marlon durchfuhr ein wütendes Zittern. Sogar Emma bedeckte den Mund mit einer Hand â zum ersten Mal sah ich Angst in ihrem Gesicht. Keinen Zorn, keinen Hass, sondern reine Angst. Angst, dass auch ihr eine solche Veränderung bevorstand.
»Raus!«, sagte Marlon leise.
Niemand rührte sich.
Er wiederholte es. »Raus, Ebony! Ich bin unseren Eltern nichts schuldig, dir ebenso wenig und ich lasse mich nicht beleidigen. Nicht von jemandem, der mich vor langer Zeit vergessen hat. Das hier ist mein Leben. Verschwinde daraus.«
»Das ist nicht dein Ernst«, krächzte sie. Sie trat näher an ihn heran und Marlon schob mich hinter sich.
»Mein voller Ernst. Du bist gekommen, um uns den Ort der Verwandlung zu nennen. Das hast du getan, danke. Corbin wird zur Lammas-Nacht da sein. Und ich verspreche dir, dass ich es mir gut überlegen werde. Mehr nicht. Geh jetzt.«
Für eine Sekunde stand Ebony bewegungslos da. Dann ging alles sehr schnell. Ihre Faust schoss nach oben â sie wollte ihn schlagen! Marlon fing ihre Hand ab und drehte seiner Schwester den Arm auf den Rücken. Er sagte etwas, aber es verlor sich in Ebonys Kreischen. Corbin sprang auf, stürzte beinahe, riss fast den Tisch um und taumelte aus der Küche, als wäre der Teufel hinter ihm her. Gleichzeitig blendete mich gleiÃendes Licht und plötzlich schrie auch Marlon, dann Emma. Das Nächste, was ich wahrnahm, waren zu Boden fallende Kleider. Etwas Schwarzes schoss in die Höhe, stieà an die Decke und dann gegen das geschlossene Fenster.
»Mach es auf!«, rief Emma.
Ich brauchte einen Augenblick, bis ich verstand, wen sie meinte. Mich.
Der Rabe klatschte ein zweites Mal gegen die Scheibe.
»Schnell, sonst verletzt sie sich!«
Ich gehorchte, riss das Fenster auf und Ebony flüchtete.
Schwer atmend wandte ich mich um. Wohin war Marlon verschwunden? Allein Emma stand noch in der Küche und starrte mich an. Schweià bedeckte ihre Haut, sie zitterte wie Espenlaub.
»Sie wollte das nicht«, wimmerte sie. »Es ist einfach so passiert. Hast du das gesehen? Oh mein Gott.« Sie schwankte. Ich fasste instinktiv an ihre Stirn. HeiÃ. Da begriff ich, dass sich die Magie von Ebonys Verwandlung auf die anderen auswirkte. Auf Emma vermutlich noch am geringsten, weil sie ein Star war und kein Rabe.
»Marlon!« Ich stürzte an Emma vorbei und fand ihn vor Corbins Zimmertür kniend. Ich war ganz sicher, einen bläulichen Schatten über ihn hinwegflattern zu sehen, doch als ich näher kam, verschwand dieser. Seine Haut war bleich, doch sie glühte. Fiebrig starrte er durch mich hindurch.
»Bleib bei mir, bleib bei mir«, flüsterte ich gefühlte hundert Mal.
Er schnappte flach nach Luft, immer wieder, als erreichte sie nur seine Kehle, aber nicht seine Lunge. Seine Haut war so heiÃ, dass ich fürchtete, er würde kollabieren. Er streckte die Hand nach Corbins Zimmertür aus, versuchte aufzustehen und bewegte den Mund, um etwas zu sagen, aber nichts davon gelang. Krämpfe
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