Himmelsfern
gesucht. Er war völlig fertig.«
Das wusste ich. Er suchte ganz besessen, um Corbin zu retten. Wie erleichtert musste er nun sein.
»Daher haben sie es nicht gehört, als plötzlich etwas gegen die Scheiben schlug«, fuhr Emma fort. »Ich war früh auf, weil ich heute aufbrechen will. Zum Ort meiner Metamorphose. Heiliger Himmel, zuerst dachte ich, die Huntsmen würden angreifen. Doch dann sah ich sie â die Frau auf dem Fensterbrett. Sie hämmerte gegen die Scheibe und sie war ⦠nun ja ⦠nackt. Ihre Haut war bläulich, ihr Haar nass und ganz verfilzt. Da wurde mir klar, dass sie sich gerade verwandelt hatte. Vermutlich nicht mit Absicht, denn das Fensterbrett war so schmal, dass sie fast hinuntergestürzt wäre. Also habe ich sie hereingelassen.« Emma verlangsamte ihre Schritte und warf mir einen verstörten Blick zu, als spräche sie von einem blutrünstigen Monster. »Versteh mich nicht falsch, Noa. Ich kann mir vorstellen, dass man nach über zehn Jahren als Vogel nicht wie aus dem Ei gepellt aussieht, aber dass es so sein würde â¦Â«
»Beschreib es mir.«
»Ihr Blick war leer. Sie sah durch mich hindurch und krächzte Laute, die ich erst als Worte erkannte, nachdem sie wütend wurde und mich anschrie. Sie brüllte die Namen ihrer Brüder. Ich lief in Marlons Zimmer, rüttelte ihn wach. Da stand sie schon hinter mir. Sie fiel vor ihm auf die Knie, klammerte sich an ihn und weinte. Dann kam Corbin dazu und war ganz auÃer sich vor Erleichterung, Ebony zu sehen. Ich wollte ihnen Zeit geben, habe ihr etwas zum Anziehen gebracht und mich zurückgezogen. Etwas später kamen sie dann alle in die Küche. Die Jungs haben gescherzt und gerangelt und Ebony hat gelächelt, als würde sie sich an ihre gemeinsame Kindheit erinnern. Sie hat uns erzählt, dass man Marlon und Corbin in diese Stadt geführt hat, hier aber keine weiteren Hinweise in die Steine singen konnte, weil auch einige Huntsmen begannen, den Steinen zu lauschen. Also entschied man, Ebony persönlich zu schicken, doch es dauerte lange, bis sie sich ausreichend an ihre Menschlichkeit erinnern konnte, um sich zu verwandeln. Sie muss Marlon schon länger verfolgt haben, aber der letzte Impuls zum Verwandeln hatte noch gefehlt.«
Ich dachte an die Raben. Meine Raben, so hatte ich sie genannt. Marlons Schwester musste einer von ihnen gewesen sein, auf der Suche nach ihrem Bruder. Ich fürchtete mich ein wenig, die Wohnung zu betreten.
In der Küchentür blieb ich stehen und suchte Marlons Blick. Er lehnte an einem Schrank und lächelte mich an, aber sein Mund wirkte verkrampft, seine Augen erschöpft. Die Frau, Ebony, saà Corbin gegenüber am Tisch und ignorierte Emma und mich offenkundig. Sie sah tatsächlich aus, als wäre sie einem Horrorfilm entsprungen. Ihr Teint erinnerte an den einer Wasserleiche und ihre schwarzen Augen glänzten wie Murmeln aus Glas. Emmas T-Shirt (diesmal mit dem Aufdruck Ich sehe blöde Menschen ) spannte über ihren muskulösen Schultern und die Jogginghose reichte nur bis zur Mitte ihrer Waden. Ich konnte nicht anders, als auf ihre FüÃe zu starren. Wahnsinn, dass Frauen so groÃe FüÃe haben konnten â das musste wahrlich Marlons Schwester sein. Schön war sie trotz allem. Schaurig-schön, wie die Zombiefrau aus dem Film Jennifers Body .
»Hallo, Noa«, begrüÃte mich Corbin und betonte dabei meinen Namen, als hätten sie bereits über mich gesprochen. Er stützte sich mit beiden Unterarmen auf den Tisch â selbst im Sitzen schien er leicht zu schwanken.
Marlon bedeutete mir, zu ihm zu kommen, und empfing mich mit einem zarten Kuss, dann stellte er Ebony und mich einander vor. Sie würdigte mich weiterhin keines Blickes und trotzdem fühlte ich mich von ihr fixiert. Mir war, als würde sie meinen Bewegungen lauschen, meine Präsenz erfühlen. Ich hatte einer Frau aus Stein gegenübergestanden, doch diese hier war mir gegenüber noch härter.
»Wir haben gerade über meine Möglichkeiten zu bleiben geredet«, flüsterte Marlon mir zu.
»Nichts haben wir.« Ebonys Stimme klang, als hätte sie Sand in der Kehle, als würde ihr jedes Wort Schmerzen bereiten. Sie verursachte eine Gänsehaut bei mir. »Wir haben festgestellt, dass das Wahnsinn ist.«
»Aber Marlon ist erst achtzehn«, wandte Emma ein und sprach damit
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