Himmelsfern
befürchtete, er würde auf offener StraÃe zusammenbrechen. Wir retteten uns zu einer Imbissbude, vor der ein paar Tische und Stühle standen. Marlon lieà sich schwerfällig an einem der Klapptische nieder, während ich hineinhastete, um ihm etwas zu trinken zu besorgen. Als ich wieder in die brütende Sommerhitze trat, in jeder Hand einen Halbliterbecher aus Pappe, traf mich fast der Schlag.
Marlon gegenüber saà Ebony.
Sie trug diese typische Touristenkleidung, die man in jedem Strandladen für ein paar Euro kaufen konnte. Ein buntes Shirt, das ihren sehnigen Bauch nicht bedeckte und ihre muskulösen Schultern frei lieÃ, dazu Bermudas und Flipflops. Die Leute am Nebentisch beäugten sie, tuschelten, standen auf und gingen. Ich verstand sie nur zu gut. Ebony sah etwas menschlicher aus als bei unserer ersten Begegnung. Ihr hüftlanges Haar war gekämmt und ihre Haut nur noch bleich, nicht mehr wasserleichenblau. Dennoch war sie unheimlich; sie verströmte reines Unbehagen. Meine Hände begannen zu zittern.
Ich hatte nicht erwartet, dass sie mich freundlich begrüÃen würde, ihre kalte Ignoranz irritierte mich dennoch. Sie sah nur Marlon an. Ihre Gesichtszüge schienen dabei noch schärfer zu werden, als würden die Knochen stärker hervortreten und gleich durch die hauchdünne Haut brechen.
Marlon griff nach einem der Becher, trank in gierigen Schlucken und wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab. »Du irrst dich«, sagte er und mir wurde bewusst, dass die beiden mitten in einem Gespräch stecken mussten.
»Marlon«, erwiderte Ebony leise. Ihre Stimme war so sanft, dass ich Gänsehaut bekam, ich hatte das mir bekannte Krächzen erwartet. Sie rollte das R so genüsslich über die Zunge, als würde ihr der Klang schmecken. »Du stirbst. Merkst du das denn nicht?« Ohne ihn zu berühren, streifte sie ihm über die Wange, folgte der harten Linie von den Schläfen bis zu seinem Kinn. »Du verfällst. Dieser Körper schafft kein Jahr mehr. Kein halbes.«
Er rieb sich das Gesicht, kratzte sich grob an den Stellen, die sie beinahe angefasst hatte. »Es bleibt dabei. Ich kann nicht gehen. Ich bin noch nicht so weit.«
Seine Worte machten mich ganz benommen. Er konnte doch nicht wissend in den Tod rennen! Das durfte er nicht. Nicht wegen mir!
Resigniert sah Ebony zu Boden. »Dafür bin ich also zurückgekommen. Um in wenigen Tagen euch beide zu verlieren. Reicht es nicht, dass deine Sturheit Corbin das Leben gekoâ«
»Still!«, fuhr ich dazwischen. »Sei sofort still!« Ich keifte sie so laut an, dass die Passanten ihre Köpfe verdrehten.
Ich hatte die Schuld in Marlons Augen gesehen und für einen Sekundenbruchteil war ich wieder das kleine Mädchen, von einem Polizisten verdächtigt, seinen Babybruder aus Eifersucht getötet zu haben. Ein Mädchen, dem die eigene Mutter dies zutraute.
»Es war nicht seine Schuld«, sagte ich leiser. Ebony legte den Kopf schief und musterte mich, ihr bohrender Blick fühlte sich vertraut an, als würde ich sie schon lange kennen. »Marlon hat alles versucht, um Corbin zu retten«, hauchte ich. Ihr Stieren nahm mir den Atem, aber ich durfte jetzt nicht klein beigeben. Ich schluckte und sagte mit fester Stimme: »Behalt deine Schuld für dich.«
Ebony starrte mich bloà weiter an. Marlon lieà sein Gesicht in die Handflächen sinken.
»Schön, Marlon.« Ebony schüttelte den Kopf und sprang in einer tierisch anmutenden Bewegung auf die Beine. »Nutz das bisschen Zeit, das dir bleibt, du Idiot.« Sie wandte sich ab.
»Ebony? Ebony, warte!«
Mit einem spöttischen Lächeln drehte sie sich zu mir um. »Was denn, Mädchen? Hast du noch nicht genug Chaos angerichtet? Reicht es dir nicht, ihn zu zerstören?«
»Lass das!«, zischte Marlon. »Nichts davon ist ihre Schuld. Es ist unsere, nur unsere. Deine Verwandlung hat Corbin getötet.«
Seine Schwester lächelte, was schrecklich grausam aussah. »Rede. Nie wieder. So mit mir. Ich wusste nicht, wie schlecht es unserem Bruder ging. Du wusstest es. Nichts hast du gesagt. Du hast mich provoziert. Was blieb mir auÃer der Flucht?«
»Jetzt weiÃt du es. Sprich nicht so mit Noa.«
Ebony verdrehte die Augen. Sie waren ebenso schwarz wie Marlons, nur dass es bei ihm natürlich wirkte, während es bei ihr aussah, als
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