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Himmelsfern

Himmelsfern

Titel: Himmelsfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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sei es allenfalls lauwarm.
    Ich erwecke manchmal den Eindruck, meine Mutter nicht leiden zu können, aber dem ist nicht so. Im Gegenteil, ich liebe sie. Nie habe ich ihr einen Vorwurf gemacht, weil sie uns nach Joels Tod verlassen hat. Warum auch? Papa und ich kommen allein sehr viel besser zurecht als zu den Zeiten, als meine Eltern noch verzweifelt versucht hatten, ihre Ehe zu kitten. Ich liebe meine Mutter wirklich. Ich sehe sie nur nicht gerne in der Nähe meines Vaters. Er liebt sie nämlich auch. Und das ist, gelinde gesagt, eine Katastrophe.
    Mama hatte beschlossen, für eine Woche in Deutschland zu bleiben, da sie schon einmal hier war. Ein paar Termine, die sie ursprünglich für ihren nächsten Besuch im Herbst geplant hatte, ließen sich vorverlegen.
    Â»Aber es bleibt etwas Zeit für dich übrig, Noa, wir könnten ja endlich wieder gemeinsam shoppen gehen«, schlug sie vor. »Was meinst du?«
    Wie großzügig. Ich sah Hilfe suchend zu Papa.
    Â»Sie hat Hausarrest.«
    Â»Hausarrest?« Mama sprach das Wort aus, als könne man sich daran mit Parasiten infizieren. »Seit wann bist du ein solcher Spießer, Christian?«
    Â»Seit deine Tochter sich nicht mehr an Absprachen hält, Sybille.«
    Ui, flogen da kleine Blitze aus ihren Augen? Papa war eindeutig der Schlagfertigere von beiden, aber Mamas Spitzen waren schmerzhafter. Sie verhandelten meinen Fall mit Frühstücksbissen im Mund und fällten sehr schnell ein Urteil: Der Hausarrest blieb bestehen, wurde allerdings durch Freigang unter Aufsicht abgemildert. Damit konnte ich zufrieden sein. Ich begann mich zu freuen, dass Mama für eine Woche zu Besuch war.
    Nach dem Frühstück räumten wir gemeinsam den Tisch ab. Ich sah aus dem Küchenfenster und staunte nicht schlecht, als ich auf der Wiese vor dem Haus mehrere große schwarze Vögel entdeckte.
    Â»Seit wann haben wir denn hier Raben?«, fragte ich verdutzt.
    Papa lugte ebenfalls an der Gardine vorbei. »Sind die nicht schön? Ich habe sie vor zwei Tagen das erste Mal gesehen. Vier Stück sind es. Offenbar gefällt es ihnen hier, sie haben gestern schon den Biomüll durchwühlt und eine riesige Schweinerei veranstaltet.«
    Â»Die werden euch alles vollklecksen«, meinte Mama, stellte einen Stapel Teller mit Schwung neben der Spüle ab, sodass es klirrte, und sah dann ebenfalls aus dem Fenster. »Aber süß sind sie schon.«
    Oberflächlich, da stimmte ich ihr zu. Aber das war nicht alles. Sie waren sehr viel mehr als nur süß, wie sie so erhaben und misstrauisch zugleich durchs Gras stolzierten. Ihren schwarzen Knopfaugen entging nichts, und wenn man genau darauf achtete, wie sie sich gegenseitig ansahen, bestand kein Zweifel, dass sie auf intelligente Weise miteinander kommunizierten. Ein Schauer rieselte mir den Rücken hinab, weil ich daran denken musste, dass Oma von gefährlichen Vögeln gesprochen hatte. Doch ich tat diese abergläubischen Ängste rasch als Unsinn ab, als ich beobachtete, wie die Raben miteinander zu spielen begannen und sich übermütig neckten. Nein, diese Tiere waren nicht böse. Und ich hoffte inständig, dass sie bleiben würden.
    Die nächsten Tage waren ein stetiges Auf und Ab. Shopping-Ausflüge mit meiner Mutter waren ein Vergnügen, die Notwendigkeit, Mama weitestgehend von Papa fernzuhalten, kostete mich dagegen zahlreiche Nerven. Ich sah, wie sehr er sie vermisste. Wen ich allerdings nicht mehr sah, war Frau Martin. Es schien fast, als ginge sie uns aus dem Weg. Ebenso deutlich wie Papas zum Scheitern verurteilte Liebe erkannte ich, dass auch Mama sich nach der alten Vertrautheit sehnte. Doch – so abgedroschen diese Floskel aus dem Mund einer Poi-Spielerin auch klingen muss – ein gebranntes Kind scheut das Feuer. In diesem Fall hatten wir uns alle bereits zu oft verbrannt. Wenn sie es wieder miteinander versuchten, würde die Beziehung erneut zerbrechen. Mama kam darüber hinweg, sie war zäh. Papa nicht. Im Gegensatz zu mir schien Mama aber nicht zu begreifen, wie zerbrechlich er hinter seiner breiten Brust war. Womöglich wollte sie es auch nicht begreifen. Für sie war er der starke Held und würde es immer bleiben. Dass Liebe blind macht, wusste ich, auch ohne es bisher am eigenen Leib erfahren zu haben. Und dieses Wissen war der Grund, warum ich so fest daran glaubte, nie selbst in diese Einbahnstraße zu

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