Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Himmelsfern

Himmelsfern

Titel: Himmelsfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
Vom Netzwerk:
geraten.
    Wenn ich nicht gerade meine Eltern auf Abstand hielt, telefonierte ich mit Rosalia und lauschte ihren Erzählungen über das Kolosseum, römische Jungs und den Vatikan – in dieser Reihenfolge – oder chattete mit Dom, der für die Dauer meiner Strafe leider auch Hausverbot bei uns hatte. Ich plante neue Choreografien und begann, langsam wieder die Trainingspoi zu schwingen. Zunächst nutzte ich nur meine gesunde rechte Hand, doch bald schon versuchte ich einfache Techniken auch mit links und beidhändig. Solange ich den Poi an meiner Hand fixierte und keine Faust machen musste, ging es bereits ganz gut.
    Manchmal beobachtete ich die Raben von meinem Fenster aus. Inzwischen hatte ich im Internet recherchiert und war mir ziemlich sicher, dass es sich um Kolkraben handelte, auch wenn diese für gewöhnlich kleiner waren. Sie schienen sich vor Zuschauern gerne zu beweisen, denn oft flogen sie besonders waghalsige Verfolgungsjagden, wenn ich sie im Blick hatte. Einmal, als eine ältere Nachbarin im Hof Wäsche aufhängte, stürzten sich alle vier zu Boden und hüpften und tippelten in enger werdenden Kreisen mit neckendem Kraabraab um die Frau herum. Rasch wurde sie nervös, gab Kuschkusch -Laute von sich und bewarf einen der Raben mit einer Wäscheklammer. Daraufhin geschah etwas, das mir für einen Moment den Atem stocken ließ: Sie griffen an. Ich glaubte wirklich an einen Angriff, bis ich sah, dass die Frau schon angesichts der hüpfenden Vögel schreiend das Feld räumte und den Raben nicht nur die bunten Klammern, sondern auch die frisch gewaschene Wäsche überließ. Scheinbar gezielt pickten die Vögel ein paar überdimensionale Schlüpfer sowie einen fleischfarbenen BH aus dem Korb und flogen mit ihrem Diebesgut in die nahen Buchen, wo sie die Wäschestücke wie Christbaumschmuck in die Äste hängten. Ich kam kaum aus dem Staunen heraus, machte unzählige Fotos von dem tierischen Kunstwerk und legte den Raben junge Maiskölbchen auf die Fensterbank. Die schienen sie besonders gerne zu fressen. Immer wenn ich sie auslegte, kamen sie so nah an mich heran, dass ich nur die Hand hätte ausstrecken müssen, um die schwarzen, in Blau und Petrolgrün schimmernden Federn zu berühren. Ich wagte es nicht. So ein Rabe hat einen eindrucksvollen Schnabel und Klauen, mit denen er Kaninchen töten kann. Lieber sah ich ihnen aus sicherem Abstand zu. Den kleinsten des Quartetts beobachtete ich häufiger, wie er im Blumenkasten der Wohnung unter uns scharrte, sein Futter dort versteckte und sein Vorratslager mit ausgerissenen Blumen tarnte. Ein anderer Rabe, der mir aufgrund seiner schief gewachsenen Schwanzfedern aufgefallen war, schien regelrechten Tauschhandel zu betreiben und warf seinen Kumpels, sobald diese eine Schnecke gefunden hatten, einen anderen Leckerbissen hin, um sich das Kriechtier zu ergaunern. Es waren faszinierende Tiere und ich lernte schnell, sie anhand ihres Aussehens und Verhaltens zu unterscheiden.
    Bitterer Wermutstropfen dieser Tage war die Tatsache, dass sie endeten und mich den Nächten auslieferten.
    Ums Schlafen kam ich nicht herum. Und ich träumte.
    Träumte von der zusammengefalteten U-Bahn; von Männern, in denen Plastikmesser steckten; von Vermummten, die mich mit Pistolen vor sich herjagten; von Monstern zwischen meinen Schulterblättern, die sich in mein Fleisch krallten und manchmal in Flammen aufgingen und lodernd um meine Wirbelsäule tanzten. Papa weckte mich mehrmals pro Nacht, weil ich im Schlaf schrie oder um mich schlug. Seine Bitte, ich möge endlich einen Psychologen aufsuchen, um das Bahnunglück aufzuarbeiten, wurden beharrlicher. Auch Mama stieß ins gleiche Horn. Doch das Letzte, was ich brauchte, war ein Seelenklempner, der an Ängsten schraubte, von deren Existenz niemand erfahren durfte. In meinem Kopf lagerte eine Büchse der Pandora, die um jeden Preis verschlossen bleiben musste. Ich weigerte mich, erbat mir mehr Zeit und suchte mir meinen eigenen Weg, etwas von meinen Sorgen loszuwerden.
    Ich brauchte mehr Informationen über Marlon und seine Leute. Ich musste Stephan Olivier finden!
    Es war Mama, die mir ungewollt die Idee brachte. Sie beklagte sich über den schlecht ausgestatteten Wellnessbereich ihres Hotels, woraufhin mir wieder einfiel, dass die Verkäuferin in der Tierhandlung von einem Fitnessstudio gesprochen hatte. Laut Google gab es nur

Weitere Kostenlose Bücher