Himmelsfern
wohlgefühlt.« Er stellte keine Frage und gab mir keine Antwort, er wiederholte nur, was ich gesagt hatte, und seine Stimme klang eigenartig und fremd â als wäre jedes Wort ein groÃes Problem. Ebenso fremd war sein Lächeln. Flach und müde, als müsse er sich dazu zwingen, was dem Ganzen etwas Zynisches gab. Ich grub die Zähne in meine Unterlippe, bis ich Blut schmeckte.
Marlon hielt einen Block von meinem entfernt und bot an, mich zu Fuà nach Hause zu bringen. »Hier kann ich parken, ohne dass der Wagen zu sehr auffällt«, erklärte er. Das war zweifellos richtig. Hier wohnten einige Leute, die zwar ihre Stromrechnung nicht bezahlen konnten, sich jedoch einen BMW oder Mercedes vor die Tür stellten. Oder auch beides.
Wir gingen langsam, zögerten jeden Schritt hinaus. Meine Absätze klackerten und inzwischen war der Schönheitsschmerz in meinen FüÃen kaum mehr zu ertragen.
Marlon wollte reden; ich konnte es so deutlich sehen, dass ich ihn am liebsten geschüttelt hätte, um die Worte aus ihm herauszubekommen. Doch ich durfte ihn nicht drängen und damit Lügen heraufbeschwören. Vor uns lag eine sehr entscheidende und zerbrechliche Wahrheit. Also tat ich das, was ich am besten konnte. Ich wurde albern.
»Du bist aber kein Vampir oder so was.«
Er grinste. Ohne sich nach den Autos umzusehen, sprang er aus dem Schatten des Gehwegs auf die sonnenüberflutete StraÃe und drehte sich einmal um seine Achse. »Ich gehe nicht in Flammen auf«, sagte er, als er wieder neben mich trat.
»Ich hatte eher etwas anderes befürchtet. Aber lassen wir das.«
»Ist vielleicht besser so. Blut macht mich jedenfalls nicht sonderlich scharf. Offenbar also kein Vampir, nein. Rate weiter.«
»Oh nein, auf keinen Fall.« Ich musste lachen. »Ich hasse Rätselraten.«
»Das stimmt nicht, du magst es. Du liebst Geheimnisse.«
Sehr richtig. »Aber du nicht, oder?«
Wenn er auch nicht glitzerte â seine Augen taten es. Es war ein sehr düsteres Funkeln. »Nein, ich kann Geheimnisse nicht ausstehen.«
Mit einem gezischten Fluch unterbrach ich ihn und hielt ihn am Arm zurück â Bastien samt Anhang kam um die Ecke. Für eine Sekunde ruhten unsere Blicke auf meiner Hand, die seinen Bizeps berührte. Es war das erste Mal, dass ich ihn bewusst angefasst hatte. Nicht dass es sich schlecht angefühlt hätte â um ehrlich zu sein, war das Gegenteil der Fall â, aber mir blieb keine Zeit, den Moment zu genieÃen. Bastien hatte uns noch nicht entdeckt und das sollte auch so bleiben.
»Komm mit.« Ich ergriff Marlons Hand und zog ihn hinter das Haus. Eilig steuerte ich eine eingedellte Metalltür an, die wie eine Piksieben aussah, und zerrte Marlon hinter mir her in die völlig verqualmte Kneipe Zum Kartenhaus.
An den Tischen mit den fleckigen, von Brandlöchern gezeichneten karierten Deckchen saÃen mehr als ein Dutzend Menschen, obwohl erst Nachmittag war. Die Art Menschen, die nie lächeln, aber oft die Mundwinkel hochzerren. Marlon folgte mir mit fragendem Gesicht zur Bar, hinter der zu meinem Glück die pummelige Frau Matthis Gläser mit einem speckigen Geschirrtuch trocken rieb.
»Asyl«, forderte ich trocken.
Frau Matthis verdrehte mitfühlend die Augen. »Ãrger mit Bastien, Mädchen?«
Ich brauchte nicht einmal zu nicken. Frau Matthis schnalzte ungefähr hundert Mal mit der Zunge und stellte uns dabei unaufgefordert zwei Gläser Cola und eine Schale Erdnüsse hin. »Geht auf mich, Mädchen. Hübsch schauste heute aus.«
»Danke, Frau Matthis.«
Marlon zog eine Augenbraue hoch. »Was passiert hier gerade?«
Ich versuchte, auf dem wackeligen Barhocker eine bequeme Sitzposition zu finden. »Ich wollte den Typen, die uns entgegenkamen, nicht zu nahe kommen.«
»War dein Liebhaber dabei?«
»Ach, Unsinn.« Ich verschaffte ihm einen groben Ãberblick, während ich Bastien und sein Gefolge drauÃen grölen hörte. Ins Kartenhaus kamen sie nie, hier drin waren wir sicher. Frau Matthis hatte Bastien nach einer Schlägerei Hausverbot erteilt, was er nur deshalb hinnahm, weil sie vermutlich der einzige Mensch auf der Welt war, dem er ein wenig Respekt entgegenbrachte. Sie war seine Mutter.
»Versteckst du dich etwa ständig vor diesem Idioten?« Marlons Gesichtsausdruck brachte mich dazu, mein ehrliches Nicken
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