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Himmelsfern

Himmelsfern

Titel: Himmelsfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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Einmalig unter all den grauen Gesichtern. Ich hatte soeben etwas zerstört, das wir über so viele Jahre mühsam aufgebaut und erhalten hatten. »Dom. Es tut mir leid.«
    Â»Ach klar«, murmelte er, aber nichts war klar. »Ich hau jetzt besser ab. Wir sehen uns.«
    Â»Dominic, warte.«
    Â»Bis dann.« Er war schon zur Zimmertür hinaus und zog sie leise hinter sich zu.
    Ja, bis dann, dachte ich. Wann war dann?
    Ich hatte schließlich doch noch etwas zum Anziehen gefunden. Eine silbergraue Caprihose, passend zum Nagellack, und eine ärmellose Bluse, die obenherum eng anlag, ab der Taille weiter wurde und locker über die Hüften hinwegfloss. Hübsch. Ich würde die Sachen wegwerfen, wenn ich wieder zurück war, denn der unnötige Streit mit Dom klebte in den Fasern wie ein Fleck, der nicht mehr rausgeht. Ich musste lernen, mich von Sachen zu trennen, da hatte er recht. Warum nicht mit etwas anfangen, das ich noch gebrauchen konnte? Dann wusste ich zumindest, dass ich es konnte. Ich schlüpfte in die Sandaletten mit Absatz. Sie waren unbequem, deshalb trug ich sie. Der Schönheitsschmerz erinnert einen daran, dass man gut aussieht, man kann es keine Minute lang vergessen. Nur aus diesem Grund geben Frauen ganze Monatsgehälter für solche Schuhe aus. Für den Schönheitsschmerz. Meine Sandalen hatten fünfzehn Euro gekostet und erfüllten ihren Zweck umso besser.
    Marlon lehnte schon an der Mauer, als ich zum Spielplatz kam, doch ich brauchte trotzdem unverhältnismäßig viel Kraft, um meine Mundwinkel zu einem Lächeln zu zwingen. Sein Blick floss träge wie Sirup an mir herab. Offenbar gefiel ich ihm, aber er äußerte es nicht. Er beobachtete mich die ganze Fahrt über, während ich nicht viel mehr tat, als die Richtung anzusagen. Wir machten einen Umweg über McDonald’s, denn sonntags hatte der Metzger geschlossen, Oma aber trotzdem Appetit.
    Marlon hielt auf dem Parkplatz vor dem Pflegeheim und ich wollte schon nach dem Türgriff greifen, da klickte es. Er hatte per Zentralverrieglung die Türen verschlossen! Jäh übergoss mich ein eisiger Schauer. Überdeutlich nahm ich die Menschen wahr, die draußen vorbeiliefen, kamen und gingen und hoffentlich hersehen würden, sollte ich gegen die Scheibe schlagen und schreien. Das Gefühl, eingesperrt zu sein, versetzte mich in Panik. Vor allem wenn es Marlon war, der die Kontrolle hatte.
    Â»Noa, was ist los?«
    Â»Mach die Tür auf!«, rief ich und rüttelte am Griff. »Mach sofort die verdammte Tür auf!« Mein Gesicht war dem Fenster so nah, dass die Scheibe durch meinen Atem beschlug und mir so die Sicht nach draußen nahm. Mein Herz prügelte von innen gegen meinen Brustkorb.
    Es klickte.
    Â»Okay?«, fragte Marlon. »Du kannst die Tür jetzt aufmachen, wenn du willst. Es tut mir leid, ich habe nicht nachgedacht.«
    Ich stieß die Autotür weit auf, sackte im Sitz zusammen und ließ den Kopf gegen die Lehne sinken. Abgasgeschwängerte Sommerhitze flutete das Wageninnere. Ich fühlte mich augenblicklich besser. Und mir wurde klar, dass ich fast hysterisch geworden wäre.
    Â»Entschuldigung«, murmelte ich beschämt.
    Â»Nein!« Er widersprach so heftig, dass ich erneut erschrak. »Entschuldige dich nicht! Es war allein meine Schuld. Dabei wollte ich nur wissen, ob alles in Ordnung ist. Du bist so schweigsam.«
    Und du bist aufmerksam. »Es ist nichts«, erklärte ich. »Ich hatte ein wenig Streit mit meinem … Kumpel.« Früher hätte ich Freund gesagt – bester Freund –, aber ich wollte keinesfalls riskieren, dass Marlon etwas Falsches dachte. »Aber das ist im Moment nicht so wichtig. Komm, lass uns reingehen.«
    Marlon spielte meinen Schatten. Er fühlte sich unwohl, und wäre es mir am Morgen im Café nicht genauso ergangen, hätte ich Mitleid gehabt. Es war nicht sehr einfühlsam, ihn herzubitten, machte er doch um andere Menschen offensichtlich lieber einen weiten Bogen. Im Pflegeheim starrten ihn alle an, denn er war jung, gut aussehend und hier noch nie gesehen worden. Wer sich in den mahlenden Alltagsmühlen eines Seniorenheims noch ein wenig Frische im Kopf erhalten will, stürzt sich auf jede Abwechslung. Bei Frau Schröder, einer winzigen Dame mit einer Reibeisenstimme wie ein unter akuter Angina leidender Bryan Adams, befürchtete ich allerdings das

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