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Himmelsfern

Himmelsfern

Titel: Himmelsfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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Hand, verflocht meine Finger mit seinen, als würde er sonst fortfliegen. »Ist es das, was Corbin mir zu sagen versucht hat? Brauchst du mich dafür? Um einen Anreiz zum Zurückkommen zu haben?« Es auszusprechen war seltsam. Ich konnte ihm kaum so wichtig sein, dass er für mich die Freiheit des Himmels aufgeben würde. Mir schwindelte beim bloßen Versuch, mir vorzustellen, wie es wohl wäre, fliegen zu können wie ein Vogel.
    Â»Es ist nicht richtig«, murmelte er betrübt. Seine Finger zuckten, er machte Anstalten, mir seine Hand zu entziehen, aber ich ließ nicht los. »Man hat uns gesagt, dass diejenigen, die sich in einen Menschen verlieben, es meist schaffen zurückzukommen. Ich wollte es trotzdem nicht. Es ist nicht fair.«
    Wir waren bei mir zu Hause angekommen, ich drehte den Schlüssel im Schloss, blieb aber stehen, auch als die Tür schon offen stand.
    Â»Musst du dich denn ver… Ich meine, musst du wirklich gehen? Im August schon?«
    Marlon nickte und flüsterte: »Die Verwandlung findet meist in meinem Alter statt. Sie ist nicht ganz ungefährlich. In der ersten Vollmondnacht im August, in der Nacht, in der man damals das Lammas-Fest feierte, gelingt sie den meisten, daher müssen wir dieses Datum nutzen. Wer weiß, vielleicht stehen zu dieser Zeit die Sterne günstig. Der Himmel ist dann voll von Magie. Man kann sie regelrecht spüren. Wir werden von anderen unserer Art abgeholt, die auf diese Magie reagieren wie auf ein geheimes Zeichen der Natur. Sie unterstützen die Verwandlung und lehren uns das Leben als Vogel.« Er versuchte sichtlich, mir sachlich zu erklären, was geschehen würde, aber ich sah die Angst hinter der kühlen Fassade.
    Als wir durchs Treppenhaus nach oben gingen, kam mir der Gedanke, dass er mir vielleicht einfach nur ein Märchen erzählte, um mich ins Bett zu bekommen. Die Idee gefiel mir, ich versuchte sie festzuhalten und ihr mehr Glauben zu schenken. Die Vorstellung von einem lügenden Marlon, dem es auch in Zukunft gut gehen würde, gefiel mir besser als die von einem ehrlichen Marlon, dem etwas bevorstand, das ihn offenbar so sehr ängstigte. Leider spürte ich zu deutlich, dass er nicht log.
    Â»Im Gegensatz zu deinem Zimmer ist es ziemlich langweilig«, sagte ich, als ich die Tür zu meinen vier Wänden aufstieß.
    Â»Ich kann mir nichts Langweiligeres vorstellen, als aus dem Pappkarton zu leben, egal wie kreativ der Mensch war, der meine Wände bemalt hat.« Marlon sah sich neugierig um, tippte meine am Schrank baumelnden Feuerpoi an und verrieb ein wenig Ruß zwischen den Fingern. Er betrachtete eine an der Wand hängende Fotocollage von mir und Rosalia und begutachtete meine CD- und DVD-Stapel, die überall im Raum verteilt standen. Als er den Meisenknödel hinter der Fensterscheibe entdeckte, warf er mir einen tadelnden Blick zu.
    Ich erinnerte mich, dass einer der Raben auf meiner Fensterbank gesessen hatte, dass ich ihn und seine Artgenossen beobachtet und ihnen Futter zugeworfen hatte. Mit einem Mal war ich erschüttert. Sie waren keine Vögel, keine Tiere, sondern Menschen … wie Marlon. Erst jetzt schien ich endgültig zu begreifen, als hätte mein Gehirn mir zuvor Zeit zum Durchatmen gönnen wollen und die Wahrheit nicht vollständig zugelassen. Er würde werden wie sie, ob er wollte oder nicht. Diese Erkenntnis traf mich so schmerzvoll, dass ich den Raum verlassen wollte. »Hast du schon zu Abend gegessen?«, fragte ich, weil mir außer der Küche kein Ort einfiel, an den ich hätte fliehen können.
    Marlon deutete meine Frage falsch, blickte grüblerisch zwischen mir und dem Meisenknödel hin und her, rang eine Sekunde lang um Fassung und brach dann in schallendes Gelächter aus. Er versuchte sich das Lachen zu verkneifen, als er bemerkte, wie schockiert ich ihn anstarrte, presste sich eine Faust vor den Mund, doch er war machtlos angesichts der Absurdität. Das Lachen sprudelte aus ihm heraus, bis ihm Tränen über die Wangen liefen und er nach Luft schnappen musste. Vermutlich war es die Anspannung, die Erleichterung, dass er sein Geheimnis mit mir geteilt hatte, sowie die Schrecken des Tages – all das brach nun aus ihm hervor.
    Auch ich musste zaghaft kichern. Marlon hielt sich den Bauch, ließ sich auf den Boden fallen und stieß dabei gegen den Turm aus PSX-Spielen, der kippte, sodass die Hüllen

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