Himmelsjäger: Roman (German Edition)
bei all ihren Probeflügen hatte die SunSeeker nur bis maximal auf ein Zehntel der Lichtgeschwindigkeit beschleunigt und auch nur für eine Woche. Vor der SunSeeker waren fünf andere Schiffe zu den Sternen aufgebrochen, und während des ersten Jahrzehnts hatte keins von ihnen über Leistungsanomalien des Antriebs berichtet. Was allerdings nicht viel bedeutete. Seit vielen Jahren trafen von der Erde keine Nachrichten mehr ein, aus welchen Gründen auch immer.
Dies war ein völlig fremdes Meer, über das sie segelten, dachte Redwing, und ihm fiel ein: Magellan war an Land gegangen, auf den Philippinen in einen Konflikt verwickelt worden und bei einem Kampf gestorben, den er selbst begonnen hatte. Er war davon überzeugt gewesen, den Engel der Jungfrau Maria auf seiner Seite zu haben, und glaubte deshalb, nicht verlieren zu können, obwohl er einem zahlenmäßig weit überlegenen Feind gegenüberstand. Spätere Generationen benannten eine kleine Galaxis nach ihm, aber er hatte viele dumme Entscheidungen getroffen, insbesondere jene fatale, sich dabei allein von Gefühlen leiten zu lassen.
Woraus man durchaus eine Lehre ziehen konnte.
SECHSTER TEIL
»Taten sagen mehr als Worte,
aber nicht annähernd so oft.«
MARK TWAIN
32
Selbst Tananareve hielt Schritt und setzte mit grimmiger Entschlossenheit einen Fuß vor den anderen. Nicht so Mayra. Seit der letzten Schlafpause kam sie immer langsamer voran, tiefe Linien durchzogen ihre Stirn, und oft deuteten Bewegungen ihrer Lippen auf einen inneren Dialog hin. Der Verlust ihres Mannes bereitete ihr tiefen Schmerz und beeinträchtigte ihre Moral, vermutete Beth.
Daran musste sie in erster Linie denken, an die Moral der Gruppe, ihren Durchhaltewillen. Es kam darauf an, dass sie nicht den Mut verloren. »Führung« hatte man diese Denkweise während der Ausbildung genant. Jedes Besatzungsmitglied der SunSeeker musste in der Lage sein, die Führung zu übernehmen, wenn die Umstände es verlangten. Mit anderen Worten: Jeder von ihnen musste imstande sein, den aktuellen Anführer zu ersetzen, wenn der getötet oder schwer verletzt wurde.
Beth ging langsamer und beobachtete, wie Lau Pin plötzlich mit energischen Schritten im Dickicht verschwand. Sie biss sich auf die Lippe und widerstand der Versuchung, nach ihm zu rufen – sie waren auf der Flucht und mussten leise sein.
Plötzlich wimmerte Mayra und sank inmitten der dichten Vegetation zu Boden.
Beth sah Lau Pin hinterher und berührte die junge Frau dann an der Schulter. »Mayra …«
»Er ist tot , und wofür? Wir laufen einfach nur weg. In dieser niedrigen Schwerkraft droht uns ohnehin allen der Tod wegen Knochenschwund!« Sie spuckte die Worte regelrecht aus.
»Ach, Mayra, es tut mir so leid.« Beth wusste, dass Mayra Gelegenheit brauchte, die Gefühle aus sich herauszulassen. Darum ging es hier vor allem, um Emotionen, nicht um Fragen der Gesundheit. Was die Schwerkraft betraf … In diesem Gebiet betrug sie etwa 0,3 g, und das war nicht zu schlimm, solange sie hier nicht Monate verbrachten.
»Was ist dies alles wert?«, brachte Mayra hervor. »Welches Ziel haben wir?«
»Wir mussten fliehen«, erwiderte Beth sanft. »Darin waren wir uns einig. Abduss war ein tapferer Mann. Er hat sich für uns geopfert, und sein Opfer wäre sinnlos, wenn wir nicht versuchen, das Beste daraus zu machen.« Beth klopfte ihr auf den Arm und fühlte sich solchem Kummer gegenüber hilflos.
Mayra nickte, während ihr Tränen über die Wangen strömten. »Er war so …«
»Ich weiß.« Eigentlich gab es nicht mehr zu sagen. Anteilnahme schien sinnlos zu sein, aber gleichzeitig kam ihr große Bedeutung zu, denn wenn sich die trauernde Person allein fühlte, wurde alles noch schlimmer. »Es tut mir leid.«
Sie erinnerte sich an ihre eigenen Empfindungen, als sie auf den vom Arachno zerquetschten und zerfetzten Leichnam hinabgesehen hatte, auf die Reste eines Mannes, der gar nicht mehr als Abduss zu erkennen gewesen war. Beth hatte geschluckt und es irgendwie geschafft, nicht zu erbrechen. Jede Begegnung mit dem Tod setzte sich irgendwie in ihrem Gedächtnis fest, aber diese würde sie bestimmt nicht vergessen.
Bei der Erinnerung an Abduss’ schreckliches Ende fragte sie sich, ob Cliff bisher überlebt hatte. Sie schob diesen Gedanken beiseite, nahm neben Mayra Platz und legte ihr den Arm um die Schultern.
»Mir tut es ebenfalls leid, Mayra.« Fred sprach langsam und ruhig. Nach einer kurzen Pause deutete er zum Horizont. »Wohin
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