Himmelsjäger: Roman (German Edition)
arbeiteten in der Ferne, nahmen aber keine Notiz von den Menschen. Die Tür des Waggons ließ sich leicht öffnen, und sie betraten ihn, hielten sofort nach Passagieren Ausschau. Offenbar gab es keine. Ein seltsamer, feuchter Geruch herrschte in dem Wagen, und Cliff fühlte sich aus irgendeinem Grund an einen Zoo erinnert. Ein Bugfenster gewährte Blick in den Tunnel vor dem Zug. In Abständen von jeweils einigen Hundert Metern leuchteten elfenbeinfarbene Wandabschnitte.
Sie untersuchten die rechteckigen Maschinen an der Rückwand und stellten fest, dass sie Nahrung enthielten, beziehungsweise das, was für andere Passagiere Nahrung gewesen wäre. Es handelte sich um ein analoges System: Man drückte eine Taste und nahm dann ein Päckchen aus dem Ausgabefach. Die kleinen Pakete sahen ziemlich unappetitlich aus, rochen aber nicht schlecht.
Sie hielten sich von den Fenstern fern. Cliff war müde, und Howard schien fix und fertig zu sein; Blut klebte an seinem Kopf.
Sie blieben wachsam, aber für die Maschinen, die draußen vorbeikamen, schien alles in Ordnung zu sein. Cliff wollte sich gerade setzen, als der Zug ohne jede Ankündigung losfuhr. Irma hatte eine große Tür gefunden, die mit Druckdichtungen versiegelt war, und wollte sie öffnen, als sich der Zug in Bewegung setzte. Rasch nahm sie Platz und stellte fest, dass sich die Sitze erwärmten und automatisch ihren Körperformen anpassten.
Nach all der Zeit im Magnetwagen spürte Cliff, wie er sich entspannte.
Der Zug beschleunigte immer weiter. Cliff schnupperte und nahm den Geruch von Ozon wahr. Nach einer Weile, als Erschütterungen oder heftige Vibrationen ausblieben, stand er auf, ging nach vorn und sah durchs Bugfenster.
Die elfenbeinfarbenen Wandsegmente huschten vorbei, und Cliff schätzte ihre Geschwindigkeit auf mehr als hundert Kilometer pro Stunde. Die Beschleunigung dauerte an.
Er setzte sich neben Aybe und sagte: »Wir werden immer schneller.«
»Die Schale ist groß. Dieses System funktioniert besser als jeder E-Zug, mit dem ich je gefahren bin. Um größere Entfernungen in vertretbarer Zeit zurückzulegen, müssten wir hundert Kilometer pro Sekunde schnell werden.«
»Na ja, vielleicht sind die Bewohner der Schale daran gewöhnt, sich mehr Zeit zu lassen.«
»Hoffentlich nicht. Der Vorrat der Nahrungsautomaten ist beschränkt. Andererseits …« Aybe blinzelte, vom eigenen Gedanken überrascht. »Vielleicht stellen sie die Nahrung selbst her.«
Cliff befürchtete plötzlich, dass für sie alle eine Reise in den Tod begonnen hatte.
42
Redwing beobachtete, wie die endlosen Landschaften der Schale unter dem Schiff dahinstrichen und erinnerte sich daran, dass er vor Jahrzehnten ebenfalls eine Art Wissenschaftler gewesen war – was ihn schließlich zur Raumfahrt gebracht hatte.
Als Raumfahrer schließlich war er zu dem Mann geworden, den man damit beauftragt hatte, eine Gruppe aus Wissenschaftlern und Technikern zu führen und mit ihnen eine neue Welt zu besiedeln. Dieses Artefakt, die Schale, war keine Welt in dem Sinne, sondern ein riesiger Apparat. Sie wirkte vertraut und nah, weil man Muster sah, die denen der Erde ähnelten, aus einer niedrigen Umlaufbahn gesehen. Doch in Wirklichkeit war sie völlig fremdartig und viele Millionen Kilometer entfernt.
Als junger Mann hatte er sich mit den Luftströmungen der Erde beschäftigt, aber hier waren die Bewegungen der von einer Barriere festgehaltenen Atmosphäre ganz anders – und von weitaus gewaltigeren Ausmaßen. Die Schale empfing ständig das Licht des roten Sterns, immer aus der gleichen Richtung. Die Sonne ging nie unter. Es gab keinen Tag-Nacht-Zyklus, der die von Venus, Erde, Mars und Titan her bekannten atmosphärischen Strömungen schuf. Da die Rotationsachse der Schale nicht geneigt war, gab es auch keine Jahreszeiten, weder kalte Winter noch heiße Sommer. Redwing erinnerte sich daran, wie sehr ihm der Herbst gefallen hatte mit seiner Farbenpracht, und wie sehr er sich während der kalten Monate auf den Frühling gefreut hatte. Hier fehlte das alles. Fremde Wesen hatten eine Welt der Konstanz geschaffen mit einem Klima, das sich nie veränderte. Eine Welt ohne Nacht. Wer möchte an einem ewigen Tag leben?
Von der Stelle direkt unter dem Stern stieg keine Luft auf, weil dort gar keine existierte – an jener Stelle befand sich das Astloch, die Öffnung für den Jet. Keine Hadley-Zellen, keine Polarwirbel, keine Passatwinde, keine öden Wüstenregionen, die wie ein Gürtel um
Weitere Kostenlose Bücher