Himmelskrieg: Roman (German Edition)
fünf Sprachen gehörte, die Valya perfekt beherrschte, war ihr klar, dass Camilla das redegewandteste Kind war, das sie je kennengelernt hatte. Es lag nicht nur an ihrem Wortschatz – der Valyas Vokabular bei Weitem übertraf – sondern auch an der unerschütterlichen Ruhe und dem Selbstvertrauen, das dieses Kind ausstrahlte.
Camilla war übrigens auch sehr hübsch. Mit ihren schwarzen Haaren und den blauen Augen glich sie den bildschönen Südamerikanerinnen, die seit einer ganzen Weile die Modeindustrie dominierten. Wäre sie auf der Erde zu einer jungen Frau herangewachsen, hätte sie bestimmt die gleiche Karriere eingeschlagen wie ihre Mutter. Valya konnte sie sich gut vorstellen, wie sie mit Stilettos über einen Laufsteg stöckelte oder in einem Katalog posierte …
Im Augenblick trug Camilla ein viel zu großes T-Shirt, dessen Aufdruck die Vorzüge eines Ron-Jon-Surfshops pries. Als man Camilla zum ersten Mal auf Keanu begegnete, war sie fast nackt gewesen, nur mit einer seltsamen Schicht umhüllt. Reste dieser Hülle klebten noch an ihren Armen und Beinen … zumindest an den Körperteilen, die nicht von dem wallenden T-Shirt verdeckt wurden.
An ihrem linken Oberarm entdeckte Valya auch einen übel aussehenden Kratzer oder eine Bissverletzung.
Vikram Nayar hatte dafür gesorgt, dass Valya und Camilla zusammentrafen. Zu Valyas Verwunderung hatte er gesagt: »Die Kleine gehört keiner der beiden Gruppen an. Sie war bereits hier, als wir eintrafen.«
Das hatte einer ausführlichen Erklärung bedurft, und mit Zack Stewarts Unterstützung hatte Nayar Valya erzählt, Camilla Munaretto sei die Nichte des BRAHMA -Kosmonauten Lucas Munaretto gewesen.
»Gewesen?«, hatte sie verblüfft nachgehakt. Nichts von alle dem ergab für sie einen Sinn.
Stewart erklärte, Camilla sei anderthalb Jahre vor dem Start der BRAHMA und der DESTINY an Leukämie gestorben. Und hier, im Innern Keanus, sei sie, so wie mehrere andere Menschen, zum Leben wiedererweckt worden.
Ein bisschen wusste Valya Bescheid. Sie hatte gehört, dass Zack Stewarts Ehefrau zu diesen »Revenants« gehörte, ein Terminus, der unter den Flüchtlingen anscheinend die Runde machte. Allerdings war sie sich nicht sicher, ob sie auch nur ein Wort von dem, was diesbezüglich gesagt wurde, glauben sollte.
»Und was verlangen Sie von mir?«
»Sie sind hier die Einzige, die sich mit dem Mädchen unterhalten kann.«
»Ich spreche nicht fließend Portugiesisch.«
»Trotzdem sind Sie auf diesem Gebiet unsere Expertin, da die anderen überhaupt kein Portugiesisch können.« Zack setzte ihr auseinander, worum es ihm ging. »Camilla ist noch ein Kind, und sie befindet sich in einer Ausnahmesituation. Es ist wichtig, dass sie jemanden zum Reden hat.«
Valya hatte sich schon vorher in Camillas Gegenwart nicht sonderlich wohlgefühlt. Das Mädchen wirkte zappelig und huschte von einer Gruppe zur anderen wie ein mit Speed vollgedröhnter Bettler. Als einer der Houston-Leute ihr dann einen Schokoriegel gab, hatte sie sich in den schattigen Bereich des Tempels gesetzt, um die Süßigkeit zu essen.
Später, ohne dass Valya es gemerkt hätte, stahl Camilla sich in den beleuchteten Teil des Tempels, und aus irgendeinem Grund hängte sie sich dann an Valya, lange bevor Nayar mit seinem »Angebot« zu ihr kam.
Der Blick des Mädchens hatte etwas Sonderbares, Verstörendes an sich, und im ersten Moment war Valya ärgerlich. Sie wollte nicht mit diesem merkwürdigen Kind belastet werden.
Doch dann sah sie ein, dass Nayars Plan logisch und sogar klug war. Wenn Camilla tatsächlich von den Toten »wiederauferstanden« war, verfügte sie vielleicht über wichtige Informationen, an die man ohne Valyas Hilfe nicht herankäme.
Und sie merkte auch, dass es ihr persönlich guttat, wenn sie eine Aufgabe hatte. »Welche Fragen sollte ich der Kleinen stellen?«, erkundigte sie sich bei Nayar.
»Das überlasse ich Ihnen. Ich wüsste nicht, welche Anleitung ich Ihnen geben sollte. Fragen Sie alles, was Ihnen wichtig erscheint.« Sie war überrascht. Als sie noch für Vikram Nayar gearbeitet hatte, hatte er immer einen Plan gehabt. Offenbar machten sich jetzt bei ihm sein Alter und die überstandenen Strapazen bemerkbar.
Also hatte sie sich Camilla vorgestellt und war belohnt wor den mit einem aufrichtigen Lächeln. Doch dieses Lächeln drückte nicht etwa Verblüffung aus, sondern es schien fast so, als wollte das Mädchen damit sagen: Ich habe schon auf dich gewartet
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