Himmelskrieg: Roman (German Edition)
verlassen und wegzulaufen, und während er rannte, hinten auf einen Truck oder ein Auto zu springen, dessen Fahrer ebenfalls flüchtete.
Aber er hatte es nicht geschafft.
Und jetzt war er hier.
Er setzte sich auf den Boden, der genauso aussah wie der Dreck auf der guten alten Erde, streifte die Sandalen ab und massierte seine Füße. Dabei fragte er sich, wie lange er und alle anderen aus der Gruppe wohl auf Keanu ausharren müssten. Wochen? Monate? Jahre?
Für den Rest ihres erbärmlichen Lebens?
Wie lange würden seine Sandalen noch halten? Würde er schließlich barfuß und nackt durch die Gegend laufen?
Oder würde er verhungern?
Unter den Leuten aus Bangalore kursierten Gerüchte, die NASA oder die ISRO würden ein Rettungsschiff schicken – von den Typen, die im Control Center gesessen hatten, hatte er allerdings nichts dergleichen gehört. Woher diejenigen, die dieses Geschwafel in Umlauf setzten, ihr Wissen bezogen, war ihm schleierhaft.
Ihre Tablets konnten sie ja nicht benutzen. Er hatte sein Gerät mehrere Male eingeschaltet, bekam aber kein Link und auch sonst keine Verbindung, aber das war ihm von vornherein klar gewesen. Um die Batterie zu schonen, hatte er sein Wi-Fi ohnehin deaktiviert.
Pav wusste, dass die Batterien seines Tablets immer schwächer wurden, dass er sie nicht wieder aufladen konnte, und waren sie erst einmal leer, würden sie auch leer bleiben. Dann würde er alles verlieren, seine Geschichten, seine Bilder und vor allen Dingen seine Musik.
Das alles wäre nur noch in seinem Kopf vorhanden.
Trotzdem holte er jetzt das Tablet aus seinem Gehäuse und schaltete es ein. Er war versucht, die Lautstärke voll aufzudrehen, aber dadurch hätte er seinen Aufenthaltsort verraten. Genauso juckte es ihn, seine persönliche Datei mit den Bildern von Frauen zu öffnen …
In diesem Moment wollte er niemanden sehen und mit niemandem sprechen. Er wollte nur seine Ohrstöpsel einstecken, die Augen schließen und so tun, als wäre er daheim in seinem Schlafzimmer in Delhi.
Oder wenigstens in Vikram Nayars großem Büro.
Als er an das Büro dachte, wanderten seine Gedanken auto matisch zu Nayars attraktiver Sekretärin, und ohne durch seine Sammlung von Frauenfotos zusätzlich stimuliert zu werden, schob sich seine Hand wie von selbst in seine Hose. Dann öffnete er den Reißverschluss. Das Risiko, beim Onanieren ertappt zu werden, ging er ein. Wichtiger war ihm die hämische Gewissheit, dass er der Erste sein würde, der auf Keanu einen Orgasmus hatte.
Es wäre gleichsam ein riesiger Sprung für die Menschheit …
Was war das?!
Etwas war an ihm vorbeigeflogen!
Oder hatte er sich geirrt? Das Licht hier war so trübe – eine ewige Dämmerung –, dass er sich nicht sicher sein konnte.
Sorgfältig steckte er seinen halb aufgerichteten Pimmel in die Hose zurück und sah sich in der Umgebung um … eine leicht unebene Landschaft, Erdboden, ein paar Felsen, mehrere Büsche. In der Ferne deutete sich verschwommen irgendeine Wand an.
Aber in seiner unmittelbaren Nähe tat sich nichts. Es gab keine raschelnden Blätter, keine zwitschernden Vögel, keine summenden Insekten.
Er hörte lediglich, wie das Herz in seiner Brust pochte … und in seinen Ohrstöpseln hämmerten die irren Rhythmen von Summer Jihad.
Sonst war kein einziges Geräusch zu vernehmen.
Er setzte sich wieder hin. Auf gar keinen Fall wollte er seine Bemühungen wieder aufnehmen, sich auf Keanu einen runterzuholen. Er konnte nur noch dasitzen, sich entspannen und darüber nachdenken, wie zum Teufel dieser ganze Scheiß passiert war.
Natürlich war der Job seines Vaters die Ursache für den ganzen Schlamassel. Pav konnte sich kaum noch an die Zeit erinnern, als sein Vater noch nicht dem Raumfahrtprogramm beigetreten war. Er diente als recht junger Pilot bei der indischen Luftwaffe, wo man als langfristiges Ziel die Befähigung verfolgte, eine Atombombe auf Karatschi oder Islamabad abzuwerfen. Doch dann handelte die Indian Space Research Organization mit den Russen einen Deal aus, einen Vyomanauten in einer Sojus mitzunehmen. Dies war der erste Schritt in die Richtung, ein eigenes Raumschiff zu bauen und zu starten.
Taj und Staffelkommandant Asahi waren als Kandidaten ausgesucht worden, und die ganze Familie Radhakrishnan übersiedelte nach Star City außerhalb Moskaus.
Damals war Pav acht gewesen. Und seine neue Heimat hatte er in erster Linie als einen Ort in Erinnerung, an dem es kalt und dunkel war. Und keiner
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