Himmelsmechanik (German Edition)
alles so läuft, wie es laufen soll, dann werden wir etwas in das Bett unter den Grundstein legen, der nach Osten gerichtet ist; etwas, worauf zu verzichten es sich lohnt, damit es in den Fundamenten versteckt liegt. Doch das haben wir noch nicht entschieden, das wird man morgen sehen.
In diesen Tagen lesen wir weniger und reden mehr. Nita hat langsam etwas Mühe, die richtige Position für ihre langen und angeregten Lektürestunden zu finden. Sie läuft mit ein paar Büchern durchs Haus, sucht sich einen Platz und dann einen anderen, und dann geht sie schließlich nach oben und legt sich ins Bett. Für eine Weile, danach geht sie hinaus. Sie setzt sich unter den Nussbaum, wo sie in der Nacht gewesen ist, um mit der Ungeborenen zu sprechen, nimmt wieder ihre Bücher in die Hand, lässt es aber bald wieder sein. Dann ruft sie mich. Das sind Tage, an denen ich immer in der Nähe bin, wenn sie im Haus ist. Sie ruft mich, und wir gehen ein paar Schritte. Es sind lange, heiße Tage, Frühsommerwetter; der Dinkel ist noch grün, der Mais hat gerade erst ausgetrieben, die Aprikosen sind noch eine Spur zu sauer. Von den hohen Ästen zetern die Amseln und richten sich an den Jungen zugrunde, die sie im Eifer ihrer ehebrecherischen Paarungen bekommen haben. Nichts ist übermäßig in diesen Tagen: Die Hitze erschöpft einen nicht, das Licht blendet nicht, der Schlamm lässt einen nicht versinken, die Brennnessel brennt nicht, die Bergmelisse riecht nicht unangenehm. Wir sind sogar Wählen gegangen in diesen Tagen, doch niemand hat mehr als nötig gewonnen und auch nicht zu sehr verloren; hier nicht. Noch ist nicht der heiße Dunst der Strände auf den Pisanino gestiegen, und auf seiner Eisnadel rascheln langsam und honigartig die Nebelschwaden des Abends, der Schleier, der in der noch frischen Nacht die Prinzessin schützen wird, die nie aufgehört hat, das Scheitern ihrer Liebe zu beweinen.
Wir gehen ein paar Schritte, und ohne uns zu beeilen, kommen wir am Nachmittag zu den oberen Apfelbäumen, wo das erste Heu schon gemäht ist und die Bauern es zulassen, dass abends die Hirsche kommen und weiden und es düngen für die nächste Mahd. Ohne Eile versuchen wir uns zu lieben, wo der wilde Hafer schon hoch genug gewachsen ist, dass er nicht mehr sticht. Wir versuchen es in Ruhe, und manchmal gelingt es uns und manchmal nicht. Aber das ist nicht wichtig, es ist mehr aus Neugierde, um zu erfahren, was aus uns geworden ist, ein Experiment von Kindern. Und dabei reden wir, ohne Eile versuchen wir, etwas zu sagen, das uns so oft in den Sinn gekommen ist und wir uns nie erzählt haben. Ja, das passierte uns früher nicht, nicht so: Es gab vor allem üppiges, weises Schweigen. In diesen Tagen, oben bei den Apfelbäumen, während wir versuchen, nicht über die hier und da hingeworfenen Kleider zu stolpern, erzähle ich Nita etwas darüber, was ich gewesen bin, und sie erzählt mir, was sie ist. Wir haben nie das Bedürfnis dazu verspürt, es hat sich nie die Notwendigkeit ergeben: Es gab Vorsichtsmaßnahmen zwischen mir und ihr, die feste Abmachungen waren. Jetzt sind wir wie zwei Kinder, die auf den Gedanken kommen, sich zu verlieben, zwei alte Geschäftspartner, die sich einander begünstigende Testamente diktieren. Ich sage es noch einmal, wir tun das alles mit Ruhe und warten, dass es dämmert, um wieder nach Hause zu gehen.
Von ihr habe ich erfahren, was ich über sie schon wusste, und anderes, was ich zum ersten Mal hörte. Sie hat mir alles auf sachte, sanfte Weise gesagt, als bemühte sie sich, mir etwas zu erklären, das ich mir nur schwer merken könnte. Sie hat mir gesagt, sie habe einen Vater, eine Mutter und eine ältere Schwester gehabt, und das letzte Mal, als sie sie gesehen hatte, stritten sich alle mit ihr, die unbedingt gerade dann ein Amarena-Eis wollte, als der Bahnhofslautsprecher die Einfahrt ihres Zuges ankündigte. Sie sagte mir, das Letzte, was ihre Mutter zu ihr sagte, war: Hör bitte damit auf. Und sie hätte sowieso damit aufgehört, weil sie ihre Mutter noch nie so außer sich und so verschwitzt gesehen hatte. Sie waren auf dem Weg ans Meer, zur Tante, an einen Ort, der ihr so gut gefiel, nach Cesenatico an der Adria; ein so schöner Ort, dass sie sicher war, ihre Tante lieber zu haben als ihre Mutter. Sie sagte mir, dass sie sich an ihren Vater erinnert, der ihr den Rücken zugekehrt hatte und sauer auf sie war, auf seine Lieblingstochter; er war so groß, dass sie, um sich mit ihm auszusöhnen, an
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