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Himmelsmechanik (German Edition)

Himmelsmechanik (German Edition)

Titel: Himmelsmechanik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio Maggiani
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gute Nachricht: Dein Sohn ist zurückgekehrt, dem sicheren Tod entronnen, dein Sohn wird jetzt aus dem, was er ist, etwas Gutes machen. Freu dich über ihn, denn er hat in seinem heimatlichen Tal einen guten Beruf gefunden. Doch wie hätte ich diese Dinge der Frau sagen können, die ihre besten Jahre damit verbrachte, sich nachts einen Rucksack auf den Rücken zu setzen und einen Berg voller Geister hinaufzusteigen? Der Frau, die ihr ganzes Leben lang inständig an die unbefleckte Empfängnis ihres Sohnes geglaubt hat?
    Wer war dieser Typ mit dem Päckchen, fragte mich Nita, was wollte er? Ich weiß nicht, antwortete ich ihr, er hat es mir nicht gesagt. Das ist die Wahrheit; doch das muss man nicht wissen, um zu verstehen. Ich habe verstanden, dass es Zeit war wegzugehen, nicht mehr und nicht weniger. Das bedeutete das Paket: Komm rein oder verschwinde. Es war, als hätte mein Freund Thomas mich untergehakt und zu einem Tango aufgefordert; und ich habe bei der Santarellina gelernt, einen falschen Schritt zu erkennen, bevor ich meinen Fuß aufsetze. Den Sinn für das richtige Maß.
    Ich musste dieses Päckchen gar nicht öffnen. Es gab Jahre, versuchte ich ihr zu erklären, in denen es unmöglich war davonzukommen, wenn man nicht verstanden hat oder falsch verstanden hatte. Es gab Orte in jenen Jahren, denen du, wenn du nicht schnell von Begriff warst, nicht mehr entkommen konntest. So war es mehr oder weniger auf der ganzen Welt, doch im Vereinigten Königreich mehr als anderswo. Die Zeit der großen Revolte, wie man später sagte; aber was du damals spürtest, war mehr als alles andere eine unerträgliche Raserei. Du hättest dich der Republikanischen Armee angeschlossen, nur um sie unter Kontrolle zu halten, du hättest dich mit Drogen umgebracht, um sie zu beruhigen, du hättest aus demselben Grund eine Bank überfallen. Und so ist es passiert; und es ist auch passiert, dass du dir alles Denkbare erfandest, nur um nicht vor Angst zu sterben, an der Bestürzung, die du in dir spürtest. An den Colleges und in den Pubs, auf den Treppen der leer stehenden Häuser und in den Konzertsälen war alles eine Einbildung; und hätte ich mich nicht so hineingekniet, Chemie und Physik zu studieren, so hätte auch ich das gedacht, was all diejenigen sagten, die in den Club kamen, um sich zu besaufen: dass dieses Herumfantasieren eine Argumentation wäre. Eine allgemeingültige Argumentation.
    In Newcastle, in jenem Club, auf den Straßen ringsum und zwischen den Fabriken der berühmten Armstrong-Kanonen, an den Hafenmolen, auf den Treppenabsätzen der Sozialbauten, wohin ich zum Schlafen ging, hatte ich keine Mühe gehabt zu verstehen. Ab und zu flog etwas in die Luft, aber in Wirklichkeit schien jeder Tag der richtige dafür zu sein, dass alles in die Luft flog; das gesamte Universum womöglich. So schien es bis gegen zwei, drei Uhr morgens, dann erlosch der Tag mit seiner Zündschnur, die von Bier durchnässt zischte. Ich war dafür nicht geschaffen, nicht für dieses finstere Herumfantasieren; ich war zur Hälfte von einer Waisen aus dem Amazonas geschaffen: Ich hatte zu viel Leben in mir für die Verzweiflung des leeren Raums des Wartens. Ich war einfach nur für meinen Beruf geschaffen. Und damals wusste ich noch nicht, welcher das sein würde.
    Das Päckchen habe ich mitgenommen, da, wo es war, lag es nicht gut, um allein darauf zu warten, dass jemand käme, um es abzuholen. Ich legte es zu den Büchern, die ich nicht hatte verkaufen können, und öffnete es an der Victoria Station, bevor ich in den Zug stieg: Da war ein Bündel Schweizer Franken in Hunderterscheinen. Ich glaube, beruhigte ich Nita, das hätte mein erstes Gehalt werden sollen; sauberes, ehrliches Geld für die qualifizierte Tätigkeit eines Chemikers im Bereich Pestizide oder Sprengstoff oder Drogen oder Arzneimittel. In jenen Jahren lief die Chemie sehr gut. Ich habe sie behalten: Sie sahen aus wie ein schönes Souvenir. Scheinheiligerweise, wenn auch nur für einen Moment, habe ich am Bahnhof gedacht, sie könnten mir dienen, falls ich eines Tages dazu verleitet würde, meine alten Pfade zurückzugehen und diesen anständigen Menschen Thomas wieder zu suchen. Angesichts dessen, wie sich die Dinge entwickelt haben, unter Feststellung des Überflusses, der im Hause herrscht, und der guten Nachrichten, die aus der Umgebung kommen, werde ich sie morgen früh in ihrer Schachtel unter dem Grundstein begraben. Und es sei ein für alle Mal beschlossen, im immer

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