Himmelsmechanik (German Edition)
gesorgt, eine lange feine Spur von Indizien zu hinterlassen. Die nämlich ihre Namen sind, die sie trägt und ablegt, wie es ihr gefällt. Es sind die Namen der Frauen, der Mädchen, der alten Damen, der Kinder, die im Bahnhof in die Luft geflogen sind. Ich weiß das, weil auch ich meine Recherchen angestellt habe, aber erst lange, nachdem ich es mit ihr getrieben hatte. In ihrer Obsession liegt Eitelkeit, aber auch Sanftmut und zartes kindliches Vertrauen. Jedenfalls ist es nicht so wichtig. Was zählt, ist, dass hier genügend Platz für all das ist, was sie mitgebracht hat. Denn hier werden keine Wunder vollbracht.
Wintergewitter
Und nun ist Ostern. Es war ein schöner Winter, ein schwerer Winter, denn so muss der Winter sein, mit dem Märzschnee, der die Pässe gesperrt hat, denn es ist gut, dass sie eine Weile gesperrt bleiben, und dem letzten vom vergangenen Samstag, der die ersten Aprikosenblüten hat erfrieren lassen. Wenn es gute Bäume sind, werden sie sich davon erholen. Auf der Alm von San Pellegrino haben die Pfähle am Straßenrand den ganzen Winter über zwei Meter angezeigt, und erst in diesen Tagen beginnt der Schnee zu schmelzen und sich die Gräben hinunterzuziehen, die schon den Fluss ansteigen lassen; auch das ist gut: Es ist gut, dass der Mumie des heiligen Pellegrino die Füße in den Schuhen mit Goldfäden gefroren sind, und es ist gut, dass sie, um sich aufzuwärmen, weiter den Schnee von der Alm weggetreten hat. Denn von hier aus nimmt die neue Jahreszeit neue Kraft.
Es ist noch kalt, und der erste zunehmende Mond des Monats funkelt im Dunst, der dort oben noch eingefroren ist: Es ist der erste Mond des Jahres, der dazu gut ist, alles wachsen zu lassen, was du im Garten säen willst. Meine Frau wird das gleich morgen früh tun, heute hat sie unter der Aufsicht des Omo Nudo schon alles vorbereitet. Der Omo Nudo, dem ab morgen schon warm sein wird.
Der Mond ist gerade ausreichend, um den Gebirgsgraten der Panie etwas Licht zu spenden, doch wenn ich die Augen gut offen halte, kann ich von hier aus das ganze Revier sehen, mein heimatliches Tal, vom nutzlosen Wachtpunkt der Festung der Verrucole zur heuchlerischen Heiligkeit des Marmors von Barga. Die Glocke des Sillico hat vor Kurzem elf Uhr geschlagen, und jetzt, da das Echo dort in den Wäldern verhallt ist, höre ich die Stille. Es ist die Stille von hier, es ist eine Stille, die sich nie verändert hat, seit ich mich erinnere. Es ist die Stille der fünfziger Jahre. Wenn jetzt unten an der Landstraße am Fluss auch nur ein Auto vorbeifahren würde, so würde es dasselbe Geräusch verursachen wie vor sechzig Jahren, und es würde diese Stille nicht zerreißen, den Ton, in dem ich aufgewachsen bin. Wie die Note, die im Universum noch den Klang seiner Schöpfung verbreitet; sie wird verstummen, wenn die Galaxien und alles andere verstummen werden. Als Kind spürte ich, dass ich in dieser Stille ohne jeden Widerstand ertrinken könnte; aus reinem Glück,mich aufzulösen, aus der unaufhaltsamen Notwendigkeit, zu ihr zu gehören. Als Kind dachte ich tiefgründige Dinge, die ich heute nicht mehr denke, ich erlebte ein edleres Leben und größere Gefühle. Ich weiß nicht, wo sie geblieben sind; weggeworfen, weil unbrauchbar geworden. Könnte ich in diesem Moment noch derjenige sein, der ich bei der Geburt war, was wäre mit mir? In einer Nacht wie dieser würde ich durch die Wälder laufen und vor Freude brüllen, bis ein paar Wölfe mit dem ganzen Hunger des Winters auf den Pfoten mich gegen einen Gebirgskamm drängen und mich erledigen würden, indem sie mir mit einem einzigen Biss die Halsschlagader öffneten.
Ich spüre, dass sich um den Nussbaum die Luft bewegt; es ist kein Geräusch, es ist ein ganz leichtes Rauschen in Kurzwellen. Ich sehe sie zwar nicht, aber ich weiß, es ist die Zwergohreule, die sich in der absoluten Stille ihres Fluges den Ast ausgesucht hat, auf den sie sich setzt. In Kürze wird sie rufen: Wenn sie heute Nacht ihr Nest verlassen hat und bis hierher gekommen ist, dann um zu rufen; auch für sie hat die neue Jahreszeit begonnen. Tatsächlich.
Diju, diju, diju.
Aus dem Dorngestrüpp unter dem
metato
antwortet das Weibchen, diiju, diiju, diiju.
Es ist nicht leicht, sie auseinanderzuhalten, aber in dieser Stille ist es doch nicht so schwer. Wenn sie dann einen Weg finden, einander zu gefallen, werden sie heute Nacht zusammen auf die Jagd gehen und entscheiden, welches ihrer Nester sie dazu benutzen werden, um mit
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