Himmelsschatten
SPRECHER DES BÜROS
FÜR ÖFFENTLICHE ANGELEGENHEITEN DER NASA
Die Digitaluhr in der Mission Control zeigte noch zwanzig Minuten bis zur Zündung an. Harley hörte Bestätigun gen, dass Uploads komplett und alle Antennen eingezogen waren; die großen runden Solarmodule wollte man zur Seite drehen. »Während des Schneepflugs nehmen sie relativ zur Aufprallspur eine hohe Schräglage ein«, hatte Shane Weldon gesagt und nicht nur Gabriel Jones und Brent Bynum, sondern auch Harley den Sachverhalt erklärt. »Wir hoffen, dass dadurch die Schäden minimiert werden.«
»Was ist, wenn wir beide Anlagen verlieren?«, fragte Jones. Harley wusste, dass die Destiny sogar im Idealfall, wenn eine Mission streng nach Flugplan verlief, auf Steuerungs-Updates von Houston angewiesen war. Diese Situation war ungleich komplizierter.
»Dann muss die Crew schnellstmöglich von Keanu starten. Ohne die Solarmodule reicht die Energie in den Batterien nur für zwei Tage.«
Bynum verzog das Gesicht. »Was zum Teufel ist ein ›Schneepflug‹?«
»Auf diese Weise wird die Destiny auf Keanu landen.« Weldon gelang es nicht, einen verächtlichen Tonfall zu unterdrücken. »Klingt doch besser als Bruchlandung, finden Sie nicht auch?«
Harley gab ihm recht, aber das Gespräch über die Landung veranlasste ihn, nach dem ebenso problematischen Abheben von Keanu zu fragen. Weldon ließ Josh Kennedy die Antwort geben. »Die Schwerkraft ist so niedrig, dass die Destiny von der Oberfläche wegkatapultiert wird, wenn wir das Haupttriebwerk zünden. In wenigen Sekunden müsste das Schiff vom Boden abgehoben haben.«
»Klingt so, als hättet ihr das gut durchdacht.«
»Leck mich am Arsch, das will ich doch hoffen!«, erwiderte Kennedy und überraschte Harley mit einer für ihn untypischen vulgären Ausdrucksweise.
Weder Kennedy noch Weldon konnten Ablenkung gebrauchen, deshalb verzog Harley sich nach draußen. Er wusste, dass seine Anwesenheit in der Mission Control nicht unbedingt erforderlich war – nur für ihn selbst war es wichtig, sich dort aufzuhalten. Er lebte für die Echtzeit-Spannung eines kritischen Ereignisses, ob es sich um einen Start, das Andocken oder einen Touch-down handelte … und in diesem Fall war es die erste jemals versuchte »Schneepflug«-Landung eines Fluggeräts, das für ein solches Manöver nicht konstruiert war. Diesen kon trollierten Adrenalinrausch kannte er aus seiner Zeit, als er noch Jets hatte fliegen können. Mission Control war der einzige Ort, an dem er dieses Hochgefühl, diesen Nervenkitzel noch einmal erleben konnte, wenn auch nur für wenige Augenblicke …
Aber er gehörte nicht länger hierhin. Man hatte ihm die Verantwortung für ein Hinterzimmer übertragen – eine vitale, einzige Ressource. Und ganz gleich, ob er die ideale Wahl war, dort eine Führungsposition einzunehmen, es war sein Job.
Es war auch seine Aufgabe, sich um Rachel Stewart zu kümmern, die zusammengesunken auf einem Stuhl in der Besuchergalerie saß. Gabriel Jones war bei ihr. Harley befürchtete, er könnte dem Mädchen noch mehr Probleme bereiten, und sein Misstrauen wurde bestätigt, als er sich in die Galerie schob und hörte: »… Du darfst nie vergessen, dass Daddys auch nur Menschen sind. Wir sind egoistisch, wir sind oft nicht daheim, wir jagen unserem eigenen Traum nach, aber das bedeutet nicht, dass wir unsere Töchter vergessen, dass wir sie nicht lieben …«
Mit geschlossenen Augen und tränennassem Gesicht kniete der Mann vor Rachel und hielt ihre Hand. Rachels Augen waren weit aufgerissen und ihre Miene übermittelte Harley eine klare Botschaft: Rette mich!
»Gabriel«, sagte Harley, so sanft wie er konnte. »Bynum möchte Sie etwas fragen.« Das war eine glatte Lüge, aber eine nützliche.
Schniefend, sich ein Lächeln abringend, stand Jones auf und tätschelte Rachels Schulter. »Pass gut auf dich auf, junge Dame. Und du sollst wissen, dass wir alles nur Erdenkliche tun werden, um deinen Daddy sicher nach Hause zu holen.«
Kaum hatte sich die Tür hinter Jones geschlossen, wandte sich Rachel an Harley. »Gott, war das unheimlich.«
»Er hat gerade seine Tochter verloren.« Harley wusste, dass Gabriel Jones seine Tochter bereits vor Jahren verloren hatte. »Du bist kein Mann in mittleren Jahren oder ein Kollege. Bei dir konnte er … Schwäche und Emotionen zeigen.«
»Und dadurch soll ich mich besser fühlen?«
»Er tat es nicht für dich.«
Sasha Blaine und die anderen Mitglieder des Home-Teams waren
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