Himmelsschwingen
himmlische Bewohner ineinander verliebten, und wenn es doch geschah, dann trugen diese Verbindungen keine Früchte. Die verstoßenen Eltern jedenfalls konnten sich nicht an einen solchen Fall erinnern und hatten alles versucht, um Miljenas Geburt geheim zu halten.
Trotz aller Gefahren erlaubte der Vater ihr, ihrer Leiden schaft, dem Tanz, nachzugehen. Zuerst in Dublin. Doch dort wurden sie enttarnt. In Hamburg fühlte sich die kleine Familie wohl. Die begabten Heiler retteten als Ärzte zahllose Menschenleben, doch eines Tages kehrte ihrVater nicht nach Hause zurück. Sein spurloses Verschwinden führte zu Spekulationen unter den wenigen Freunden und in der Klinik. Aber selbst ohne das Getuschel wären Mutter und Tochter fortgegangen, denn nun waren auch sie nicht mehr sicher. Ein Freund aus dem Netzwerk, dem inzwischen viele Gefallene angehörten, verschaffte ihnen Papiere, und sie flohen nach Sankt Petersburg.
Doch hier gestaltete sich der Neuanfang schwierig. Ihre Mutter litt unter dem Verlust ihres geliebten Gefährten, und bezahlte Arbeit war rar. Mit ihren Kräften war sie bald am Ende, und wäre Miljena nicht gewesen, sie hätte sich den Gerechten längst selbst ausgeliefert. Dennoch versuchte sie so gut es ging, sie beide durchzubringen, zahlte sogar die Tanzausbildung, half, wo sie konnte, und sehnte den Tag herbei, an dem ihre Tochter alt genug sein würde, um selbst für sich zu sorgen. Das war Miljena längst, doch sie ängstigte sich vor dem Alleinsein und behielt für sich, was ihre Mutter ohnehin nur verstören würde. Hätte jemand in diesem Moment in ihr Herz geblickt, er hätte außer Furcht kein Gefühl darin entdecken können.
Warum fliegen sie nicht? , fragte sie sich, während sie dem Paar nachging. Nur weil die beiden vorhin ein Taxi genommen hatten, war es ihr überhaupt möglich gewesen, ihnen bis hierher zu folgen. Wie ein Geheimagent war sie sich vorgekommen, als sie das nächste Taxi mit den Worten »Folgen Sie dem Wagen, aber unauffällig!« bestiegen hatte. Zum Glück war der Fahrer jung und gehörte nicht zu den Halsabschneidern, die man hier in diesem Gewerbe oft antraf. Bereitwillig, vielleicht sogar etwas aufgeregt, war er hinter dem Kollegen hergefahren. Das Bündel Rubel, mit dem Miljena gewinkt hatte, war sicherlich auch nicht vollkommen unschuldig an seinem Eifer gewesen.
Der blonde Engel war nicht der Erste. Sie verstand nur nicht, warum er sich mit seinem Angriff derartig viel Zeit ließ. Die anderen waren einfach aus dem Nichts aufgetaucht und hatten ihr Schwert gezogen. Miljenas Mundwinkel zuckten, als sie an die überraschten Gesichter der Attentäter dachte, sobald sie feststellten, dass ihr Opfer nicht vollkommen wehrlos war.
Dieser aber verfolgte eine undurchsichtige Strategie, und nun hatte er sich auch noch Unterstützung geholt. Unter anderen Umständen hätte sie seine Gefährtin vielleicht mögen können. Sie hatte etwas Wildes an sich, mit ihren Tätowierungen und den vielen Piercings. Solche Leute sah man nicht häufig in dieser Stadt. Ihre Mutter hätte bestimmt einen Schock erlitten, hätte sie sich tätowieren lassen, und Miljena gefielen die bunten Bilder.
Doch auch diesen beiden Jägern würde Diana, diese wunderbare Göttin der Jagd, deren Rolle Miljena in der kommenden Aufführung von Sylvia zu tanzen hoffte, nicht hold sein.
»Wenn du nur fest an deinen Traum glaubst, dann wird er eines Tages wahr«, hatte ihr Vater immer gesagt. War sein Wunschtraum in Erfüllung gegangen? Nein.
Miljena träumte in letzter Zeit oft von Engeln. Einer war dieser blonde Adonis, dessen Name sie nicht kannte. Der andere nannte sich zwar Quaid, aber er sah ihrem Vater zum Verwechseln ähnlich und hatte ihr nicht nur versprochen, sie zu beschützen, sondern ihr auch immer wieder nützliche Tipps gegeben.
Vollkommen vertraute sie ihm dennoch nicht. Deshalb hatte sie auch wider besseres Wissen versucht, mit ihrer Mutter darüber zu sprechen, doch die war ganz bleich geworden und hatte sie beschworen: »Hör nicht auf ihn! Das ist nicht dein Vater, der zu dir spricht, sondern die Versuchung des Bösen.«
So ein Quatsch! , dachte sie und wünschte sich doch, dass ihre Mutter endlich einsah, dass sie ohne Quaids Ratschläge längst verhungert wären.
So vertieft war sie in ihre Gedanken, dass sie beinahe nicht bemerkt hätte, wie die Engel einen Hauseingang betraten. Kurz darauf flammte in der obersten Etage ein Licht auf. Nass und müde, wie sie war, wäre sie jetzt auch
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