Himmelssturz
einen schwachen Widerschein über die Umgebung. Ansonsten war es zu dunkel, um allzu viel zu erkennen. Doch auf dem Bildschirm war zu sehen, dass sie sich über den letzten Ausläufern der Eiskappe am Heck befanden, wo sie über hoch aufragenden Spitzen und tiefen Schluchten spicanischer Maschinerie ausdünnte und zerfaserte. Die Gravitationswirbel wurden hier stärker, was einer der Gründe war, warum sich das Eis hier nicht mehr gehalten hatte. Das Beiboot schlingerte wie ein Flugzeug in schweren Turbulenzen, bei denen man aufhörte, Getränke zu servieren.
Es war möglich, dass es einen ruhigeren Kurs gab, aber so etwas galt als zu kostspielig, was den Treibstoffverbrauch betraf. Treibstoff war immer noch ein Problem, selbst jetzt, und jedes Gramm, das verbrannt wurde, musste mit bürokratischer Pingeligkeit gerechtfertigt werden. Piloten wurden getadelt, wenn sie auf ihren Flügen auch nur einen Bruchteil mehr Treibstoff verbrauchten, als die Software vorhergesagt hatte.
Ein weiterer Ruck, und dann hatten sie das Eis hinter sich gelassen. Svetlana schaute gerade noch rechtzeitig zurück, um zu sehen, wie die zerklüftete blaugraue Klippe hinter dem Beiboot zurückfiel. Eisberggroße Brocken lagen am Fuß der Bruchkante und drängten sich zwischen gewaltigen rechteckigen Formen. Das Beiboot überflog nun eine irreale Traumlandschaft aus Maschinen, die groß wie Berge waren, und sie schienen sich plötzlich langsamer zu bewegen, als der Boden in ferne, undeutliche komplexe Formen abfiel. Einen Moment lang machte es den Eindruck, als würden sie reglos auf der Stelle schweben.
Der Anblick war atemberaubend. So war es jedes Mal für Svetlana.
Es war wie ein Nachtflug über einer Metropole, nur dass ihre Ausmaße hundertfach vergrößert waren. Dennoch stellte sich seltsamerweise kein Schwindelgefühl ein. Svetlana hatte dasselbe empfunden, wenn sie über gewaltige Korallenriffe hinweggeschwommen war oder als sie einmal die Steilkante eines Kontinentalschelfs überquert hatte.
Die Bilder, die von Janus kurz nach dem Aufbruch aus der Saturnumlaufbahn geschossen worden waren, hatten darauf hingedeutet, dass die spicanischen Maschinen eine blass schimmernde, durchscheinende Struktur aufwiesen. Die Wahrheit war jedoch viel komplexer. Aus der Nähe wirkten die Maschinen im größten Teil des elektromagnetischen Spektrums schwarz, doch viele Oberflächen waren tatsächlich mit Texturen überzogen, die Licht abstrahlten. Es waren farbig leuchtende fensterartige Flächen, die nahtlos in den schwarzen Hintergrund übergingen.
Die vorläufige Deutung besagte, dass die Fenster eine Art Symbolsprache bildeten. Frühe Untersuchungen hatten ergeben, dass es einhundertfünfundfünfzig verschiedene Fensterformen gab, von denen jede aus fünf oder sechs rechteckigen Unterelementen bestand, die wie Dominosteine aneinander gelegt waren. Die meisten dieser Fensterformen wiederholten sich tausendfach auf den sichtbaren Oberflächen, doch es gab ein paar, die deutlich seltener vorkamen. Eine recht einfache Form, die dem Buchstaben ›T‹ ähnelte, war erst ein einziges Mal beobachtet worden.
Jake Gomberg, der Sprachenfreak der Rockhopper, war damit beauftragt worden, den Sinn der spicanischen Zeichen zu entschlüsseln. In Anbetracht ihres sehr unterschiedlichen Temperaments war es erstaunlich, dass der geschwätzige Gomberg und die stille, unscheinbare Christine Ofria bei dieser Aufgabe ausgezeichnet zusammenarbeiteten. Inzwischen waren sie ein Paar, nachdem die Interimsverwaltung ihre Heirat abgesegnet hatte. Ihre Tochter Hannah war das erste Kind, das ein knappes Jahr nach der Landung an Bord der Rockhopper zur Welt gekommen war. Jetzt war sie ein Jahr alt und legte ein unglaubliches frühreifes Sprachtalent an den Tag.
Doch in den fast zwei Jahren hatten ihre Eltern erschütternd wenige Fortschritte erzielt. Sie wussten immer noch nicht, was sie davon halten sollten, dass manche Symbole gelegentlich die Farbe wechselten oder ganz erloschen. Vielleicht waren diese Veränderungen der Schlüssel zum Verständnis der spicanischen Sprache, aber es konnte auch sein, dass sie genauso bedeutungslos wie das Flackern einer Neonröhre waren, die bald den Geist aufgeben würde.
Insgeheim war Svetlana froh, dass es keinen frühen Durchbruch bei der Spracherforschung gegeben hatte. Sie machte sich Sorgen, dass sich die Botschaft – im unwahrscheinlichen Fall, dass es ihnen jemals gelingen sollte, sie zu entziffern – als entmutigend
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