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Himmelssturz

Himmelssturz

Titel: Himmelssturz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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hatte. Damit konnte er das Wachstum des Tumors verlangsamen.«
    »Verlangsamen, aber nicht stoppen.«
    »Das ist leider nicht möglich. Wang sagte, es wären nur Notmedikamente, nicht einmal die besten, die sie zu Hause haben.«
    »Wir haben uns den Chinesen gegenüber falsch verhalten«, sagte sie. »Völlig falsch. Wir hätten sie willkommen heißen müssen, ihre Hilfe annehmen müssen.«
    »Jetzt ist es zu spät, sich deswegen Vorwürfe zu machen.«
    »Ich glaube, wir könnten genauso falsch liegen, was die Spicaner betrifft.«
    Parry fragte nach, aber mehr wollte sie zu diesem Thema nicht sagen. Die Bemerkung ging ihm während des ganzen Fluges nicht aus dem Kopf, bis Crabtree am Horizont auftauchte. Zuerst war der Turm mit dem zylinderförmigen Habitat an der Spitze zu sehen, dann die weiter draußen gelegenen Bauten, dann die abgeteilten Gräben, in denen man Wasser aus dem Eis gewonnen hatte. Sie durften keine Energie dafür vergeuden, den Turm von außen anzuleuchten, aber das Licht aus den Fenstern und von den umgebenden Kuppeln zeichnete deutlich seinen Umriss nach. Der Widerschein zog sich an den Halteseilen empor, die wie Spinnweben bläulich schimmerten.
    »Das ist das erste Mal, dass ich es sehe«, sagte Bella mit hörbarer Ehrfurcht in der Stimme.
    »Es ist unser Zuhause.«
    »Es sieht gar nicht mehr wie ein Raumschiff aus. Wenn ich es nicht wüsste …« Sie verschluckte den Rest des Satzes. »Wie viele sind es jetzt?«
    »Einhundertsechsundvierzig – fünf mehr als bei unserer Ankunft.«
    »Kinder«, hauchte Bella, als wäre es eine Art Beschwörung, die nur selten und mit großer Vorsicht ausgesprochen werden durfte. »Wie … wie geht es ihnen?«
    Parry lenkte den Traktor um einen Eisgraben herum. Am anderen Ende sägte ein Roboter mit einem Schneidstrahl einen Block aus dem Eis. »Sie scheinen sich ganz gut zu entwickeln. Wir passen sehr gut auf sie auf. Wir überlassen nichts dem Zufall.«
    »Dies ist kein Ort für Kinder«, sagte sie.
    »Wir leben hier. Kinder gehören zum Leben.« Er nahm eine Hand vom Lenkrad des Traktors und zeigte auf das Habitat. »Sie verbringen viel Zeit da oben, in der Zentrifuge. Sechs Stunden pro Tag, bei eins Komma fünf Ge. Das kostet Energie, aber wir müssen ihnen mehr Schwerkraft zur Verfügung stellen, als Janus zu bieten hat.«
    »Und das funktioniert?«
    »Ryan sagt, dass das Knochenwachstum normal zu verlaufen scheint.«
    »Er ist kein Kinderarzt.«
    »Er lernt dazu.« Parry legte die Hand wieder ans Lenkrad, weil es nun eine Tunnelrampe hinunterging, ins Labyrinth der Korridore unter Crabtree. »Das tun wir alle, Tag für Tag. Wir bemühen uns zu lernen. Was hast du vorhin übrigens gemeint, dass wir mit den Spicanern falsch liegen könnten?«
    Doch Bella ging nicht auf die Frage ein. Schweigend fuhren sie in eine Parknische, deren Wände mit den Kringeln hastig aufgetragenen Sprühsteins bedeckt waren. Roboter und Traktoren warteten im Vakuum, aber es war kein Mensch da, um sie zu begrüßen. Parry und Bella stiegen aus und machten sich auf den Weg zu einer großen Luftschleuse, die mit Maschinenteilen übersät war.
    »Es freut mich, dass ihr die Siedlung nach Thom benannt habt«, sagte Bella, als sie in der Schleuse standen. »Es war schlimm, was wir ihm angetan haben.«
    »Was sie ihm angetan haben«, stellte Parry behutsam richtig.
    »Nein«, widersprach Bella. »Wir haben es getan. Wir alle. Dich und mich eingeschlossen.« Sie stampfte mit dem Fuß auf den Boden. »Und das ist unsere Buße.«
     
    Ryan Axford residierte immer noch in seiner alten Krankenstation in einer der zwei Habitat-Zentrifugen. Er war allein, als Parry Bella vorbeibrachte. Die Beleuchtung in der medizinischen Abteilung war auf die niedrigste Einstellung gedimmt. Er stand von einem Schreibtisch mit Mikroskop auf. In der Hand hielt er eine kleine Glasscheibe, die mit etwas Gelbem beschmiert war. Er trug einen zerknitterten grünen Kittel und weiße Handschuhe.
    »Hallo, Bella«, sagte er. »Schön, dass du wieder da bist.«
    Dass Axford deutlich älter aussah, konnte Bella nicht erschrecken oder überraschen, da sie ihn während ihres Exils häufiger getroffen hatte. Sie konnte nur ahnen, welches Arbeitspensum er seit ihrer Ankunft zu bewältigen hatte. Er hatte jünger als vierundvierzig gewirkt, als sie zur Jagd auf Janus aufgebrochen waren, aber jetzt, nach Jahrzehnten aufreibender Arbeit, wäre er mit Ende fünfzig durchgegangen. Das angegraute kurze Haar, an das sie sich

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